Saigon - Berlin Thriller
den paar hundert Kilometern von Berlin nach Köln. Entsprach das den normalen Unfallzahlen der Autobahnmeisterei?
»Weiß ich doch nicht, wer dir alles an den Hals will«, fauchte sie.
»Wieso mir? Dich hat man doch entführt und mich in den Osten gelockt, um dich zu befreien. Hat mich zum Rauschgiftkurier gemacht. Wer spinnt denn jetzt hier? Wenn der Kerl mich nicht angelogen hat, bist du im Austausch für deine Mutter freigekommen, und er hat sie jetzt als Geisel. Wir sind hier nicht im Dschungel. Nicht in Saigon und nicht in Chau Doc. Ich stecke hier in der Scheiße mit dir. Drei Morde an der Backe und keine gültigen Papiere: Was soll ich denn jetzt mit dir machen?«
The-Maria bog sich den Rückspiegel zurecht.
»Auf jeden Fall machen, dass wir hier wegkommen.« The-Maria kramte in ihrer Umhängetasche. »Weil es mehrere weiße Golfs gibt. Gib Gas.«
Wie ein Soldat setzte sie die Einzelteile einer Kalaschnikow zusammen. Nur der Kolben fehlte.
»Du willst doch nicht etwa jeden weißen Golf abschießen? Da spiele ich nicht mit.«
»Es wird dir nichts anderes übrig bleiben. Wir hier sind die Ware, die es zu transportieren gilt. Und wenn die Verfolger uns bekommen, dann sind unsere Chancen äußerst gering. Also fahr.«
Meine Tochter. Ich konnte es nicht glauben. Beobachtete im Rückspiegel, wie sie aus dem Wagen eine Festung machte. Maschinenpistole. Handgranaten. Ladestreifen, als müssten wir einen Sturmangriff abwehren. Langsam bekam ich Verfolgungswahn.
Der Tacho kletterte auf 250 km/h.
»Was meinst du damit, dass wir die Ware sind?« Ich konzentrierte mich auf die Straße. Die Golfs konnten nicht mehr folgen.
The-Maria kauerte auf dem Rücksitz und beobachtete den Verkehr. Wie eine Vietcong im Reisfeld.
»Ich wurde nicht entführt. Es ist alles ein Plan.« Sie lud leere Magazine. »Mutter, die Frau, die du Kleiner Drache nennst, hat noch eine ganze Menge gut bei dir. Und das will sie jetzt vergütet haben.«
»Und wie?« Einen Moment schwankte ich zwischen 250 Stundenkilometern und dem Gedanken, diese Geschwindigkeit auszunutzen, um gegen den nächsten Brückenpfeiler zu rauschen. Meine Vergangenheit hatte mich nicht nur eingeholt. Sie saß auch noch auf dem Rücksitz und zielte spielerisch mit einer Waffe auf mich.
Drückte ab. Es machte nur »Klick«. Sie hatte nicht durchgeladen. Noch nicht.
Ich ging mit der Geschwindigkeit herunter. Einen Reifenplatzer konnte ich mir mit dieser Amazone auf dem Rücksitz nicht leisten. Der ADAC und die folgenden Golfs würden auch kein Verständnis für dieses sonderbare Bordwerkzeug in Gestalt einer Waffensammlung haben.
Was hatte Kleiner Drache bei mir gut, dass sie und die Tochter vor keinem Mord zurückschreckten? Waren neue Wasserbüffel nötig? Oder ein neuer Wagen, um auf den Markt zu kommen? Oder ...?
SECHSTES KAPITEL
S AIGON , 31. D EZEMBER 1968
Ein kurzer Blick in die Bar hatte genügt. Meine Kollegen waren sturzbetrunken. Ali winkte einer Bedienung. Wir gingen in den Garten des Innenhofs.
Ein heißer Nachtwind wehte, der einem die Seele austrocknete. In meinem Zimmer brannte Licht. Kleiner Drache war in dem, was man hier Zuhause nennen konnte. Wäsche flatterte im Fenster. Ali schmunzelte. Wir tranken Whiskey und rauchten Havannas. Hörten den Zikaden zu, deren Zirpen nur vom gelegentlichen Geschnatter von Hubschrauberrotoren unmelodisch unterbrochen wurden.
Ali legte die Beine auf einen Stuhl. Blies den Zigarrenrauch in die Nacht und klimperte mit den Eiswürfeln im Glas.
»Du hast mich nach La Troux gefragt«, hob er nach einer halben Stunde an.
Ich zog die Brauen hoch. Ich hatte es fast schon vergessen.
»Ich kann dir«, fuhr er fort, »wie wohl niemand hier, eine vernünftige Erklärung geben. Er ist eine journalistische Institution und macht mit seinen Kenntnissen, was asiatische Sprachen betrifft, beim Fernsehen ein Vermögen. Manchmal könnte man glauben, er hat all diese Kriege angezettelt, um darüber berichten und damit reich werden zu können.«
Ali schwieg einen Moment. Die Lichter im Garten wurden gelöscht. Eine Bedienung brachte Kerzen.
»Wieder mal kein elektrischer Strom mehr«, murmelte Ali. »Dieses ganze Land ist ein einziger Schrotthaufen. Ich weiß nicht, warum man sich darum seit dreißig Jahren kloppt. Keine Bodenschätze. Der Reis reicht hinten und vorne nicht. Die Anbauflächen verkommen, weil es an Bauern fehlt. Und die paar, die noch überlebt haben, sind zu alt oder bauen das pflegeleichtere Opium an.«
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