Sailer und Schatz 01 - Das ist mein Blut
Dietmar Kronauers Blut vergossen hatte. Noch nicht. Sie drehte sich zu dem alten Mann um, der in die Betrachtung seiner knorrigen Hände versunken schien und beobachtete ihn einige Sekunden lang, dann fragte sie: »Woher wissen Sie von dem Streit? Wie gut kannten Sie Margarete Brandt?«
Er schien ihrem Blick auszuweichen. »Sie kam einmal in unsere Wohnung, um mit meinem Vater zu sprechen. Soweit ich weiß, war es das einzige Mal, dass sie dort war. Ich habe das Gespräch nicht gehört, aber als sie ging, sagte sie: ›Meine Mutter wirft mich hinaus, wenn sie das erfährt‹, ob er das verantworten könne.«
»Das war alles, was Sie gehört haben? Woher wussten Sie dann, dass ihr Vater sich geweigert hatte, ihr zu helfen?«
Weiher wirkte plötzlich müde. »Ich kannte meinen Vater, Frau Schatz. Er hat nie direkt über seine Patienten gesprochen, aber er konnte doch nie verbergen, was ihn beschäftigte. Und Margarete Brandt und ihre Mutter haben sich kurz danach überworfen, und im ganzen Haus wurde über das gesprochen, was der Grund war. Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist.« Der alte Mann sackte ein wenig in sich zusammen. »Möchten Sie sonst noch etwas wissen?«
»Mein Kollege wollte wissen, was Sie am Dienstagabend, als Dietmar Kronauer getötet wurde, und gestern Morgen getan haben«, antwortete Eva prompt.
Heinrich Weiher sah sie unsicher an. Die trotzige Abwehr war völlig aus seinem Gesicht verschwunden; er sah älter aus als zuvor. »Ich kann Ihnen nicht viel sagen; ich lebe allein, und ich verbringe die meisten Abende alleine in meiner Wohnung. Am Dienstag ebenfalls. Um … am Nachmittag so gegen vier hatte ich ein kurzes Gespräch mit dem Hausmeister, aber danach …«
»Wo steht normalerweise ihr Auto?«
»In der Tiefgarage«, antwortete Weiher mit einem verwunderten Unterton. »Weshalb?«
Eva ging nicht auf seine Frage ein, sondern fuhr fort: »Nehmen Sie irgendwelche Medikamente?«
Die wässrigen blauen Augen hefteten sich beunruhigt auf die Polizeibeamten. »Nein. Höchstens mal eine Paracetamol oder so etwas. Ich bin zum Glück noch ziemlich rüstig für mein Alter.« Dann fragte er zum zweiten Mal: »Möchten Sie noch mehr wissen? Wann kann ich wieder gehen?«
»Einen Moment«, meinte Eva und bedeutete Friedolin, mit ihr zu kommen, vor die Tür und ein Stück den Gang entlang, wo der alte Mann sie nicht hören konnte. Sie nahm ihr Handy mit und tippte Rainers Nummer ein, vielleicht hatte er ja Neuigkeiten. Doch er ging nicht ran, wahrscheinlich war er gerade auf den regennassen Straßen unterwegs. Friedolin hielt seinen Notizblock aufgeschlagen in der Hand und sah sie aufmerksam an.
»Nun?«, begann sie. »Haben wir noch Fragen?«
Er runzelte die Stirn. »Alibi für gestern Morgen?«
»Wenn er eines hätte, hätte er es uns schon gesagt«, winkte Eva ab. »Sonst noch was?«
»Warum ist er heute weggefahren?« Der Polizeibeamte kreiste mit dem Stift eine seiner Notizen ein.
»Tja, warum?«, wiederholte Eva mit einem Nicken. »Aber das fragen wir ihn jetzt nicht mehr.«
Ihr junger Kollege wollte wissen, weshalb, aber sie beachtete ihn nicht, sondern dachte nach. Vielleicht war es Rainer gelungen, am Brombachsee etwas herauszufinden, aber selbst dann hatten sie wahrscheinlich immer noch so gut wie keine Beweise. Bernd Kahlert, Heinrich Weiher, Margarete Hofmann, ehemals Brandt … Sie lotete die Möglichkeiten aus. Margarete Brandt, mit einer strengen Mutter, ungewollt schwanger, in Sorge um ihr Studium und ihre Zukunft – und ein Arzt im selben Haus, den sie kannte und ganz natürlicherweise um Hilfe bat. Die Geschichte klang glaubhaft genug, soweit. Hatte die junge, verzweifelte Frau den Mediziner, der ihr nicht aus der Klemme helfen wollte, ermordet? Denkbar war es, wenn sie wütend genug gewesen war, verzweifelt genug. Wie schwer wäre es gewesen, einen Bücherschrank zum Kippen zu bringen, auf den Kopf eines nicht mehr jungen und höchstwahrscheinlich nichtsahnenden Mannes herab? Wenn Heinrich Weiher es nicht getan hatte – und es gab so viele Zeugen dafür, dass er zum entscheidenden Zeitpunkt nicht im Haus gewesen war, dass sie daran nicht ernsthaft zweifeln konnten –, dann schien es wirklich plausibel, dass der Täter jemand aus demselben Haus gewesen sein musste. Der Täter … und wenn es doch ein Unfall gewesen war, ein tragisches, sinnloses, absurdes Ereignis? Aber da war der Vogelkäfig, und da war der Streit zwischen dem Arzt und seinem Sohn. Und da war vor
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