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Sakramentisch (German Edition)

Sakramentisch (German Edition)

Titel: Sakramentisch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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Pension.« Die kegelförmige Birne
oberhalb der schmalen Schultern glühte.
    Zuerst war Artur gschamig gewesen. Bevor er auf eine falsche Fährte
geriet, kam Hadi ihm zuvor. Er hatte einmal gelesen, wie einst Hannibal im
Zweiten Punischen Krieg seine Krieger zusammenrief, bevor er mit den Elefanten
die Alpen überquerte, und sie schlitzohrig fragte: »Ich gebe euch hier letztmalig
die Chance, auszusteigen. Wer Angst hat, darf jetzt gehen. Wer will gehen?«
    »Wer will aussteigen?«, fragte Hadi und sah die beiden anderen
scharf an. Er musste leise reden, leiser als der selige Hannibal jedenfalls, um
nicht andere, die zuhörten, zum Mitmachen zu bewegen.
    Werner grinste.
    Artur schluckte. Sein Blick begleitete die eigenen Finger, die sich
vor Anspannung schlangengleich ineinander verwurschtelt hatten und heftig
miteinander rangen.
    »Ich will …«, sagte er zaghaft, ohne den Blick zu heben.
    »Aussteigen?«, blökte Hadi. »Hier wird nicht ausgestiegen.«
    (Hannibal hätte diese Frage sehr viel ideenreicher, allerdings
blutiger, gelöst. Die Sage berichtet … Aber lassen wir das.)
    Er nahm Arturs vom vielen Tresorknacken feinfühlige Hand, führte sie
zu des Anwalts vom Holzhacken schwieliger Pranke und ließ die beiden
einschlagen.
    »Ich bin dabei«, bekannte Werner mit ausgesuchter Höflichkeit.
    »Sakramentisch!«, rief Artur mit tränennassen Augen aus. »Dann
backmers o!«
    Hadi spürte die Verantwortung, die er übernommen hatte. Da war eine
leichte Leere in der Magengrube, Zeichen seiner Aufregung. Teresa, seine
Haushaltshilfe, glaubte, er träfe sich mit einem Freund in Rosenheim zum Essen.
In Wirklichkeit aber war er im Begriff, ein paar Recherchen am Schauplatz des
Verbrechens anzustellen.
    Es war typisch winterlich geworden, mit gleißend hellen Tagen und
klaren, kalten Nächten. An diesem Mittwoch war wieder ein unverschämt schöner
Bilderbuchwintertag, viel zu schade für die Vorweihnachtszeit. Ein paar saubere
Schäfchenwölkchen schwebten über dem Kaisermassiv am südlichen Himmel, der
tiefblau war. Die strahlende Sonne umarmte den Riesenchristbaum mitten im Dorf
mit ihren Strahlen und ließ die Adventssterne über der Hauptstraße glitzern wie
glühende Zirkone, die vorgaben, Diamanten zu sein. Der leichte Erler Wind (der
so heißt, weil er in der Früh aus dem tirolerischen Erl am Inn entlang
heraufweht) sorgte dafür, dass es nicht ganz und gar frühlingshaft wurde. Es
war eine Stimmung wie geschaffen für einen oberbayerischen Regionalkrimi. Hadi
nahm sich vor, die Atmosphäre bei Gelegenheit in einen Text einzubauen.
    Er parkte den unscheinbaren Kleinwagen (mit seinem Testarossa
operierte er von Salzburg aus) vor dem dörflichen Schreibwarenladen, ging
hinein und besorgte sich ein kleines Ringheft, einen schwarzen Filzschreiber
(schwarz für Krimis, rot für seine Liebesschnulzen), eine Süddeutsche und das
Oberbayerische Volksblatt. Er wischte sich mit dem weichen Stoff des
Kamelhaarmantelärmels übers Gesicht, verstaute die Zeitungen unter dem Arm und
überquerte mit wichtigem Gesicht die Hauptstraße. Er hätte auch mitten auf der
Straße stehen bleiben und Zeitung lesen können, so wenig Verkehr fand statt. Das
Dorf war still und wie ausgestorben. Es war halt Mittwoch und nicht ein
Samstag, an dem Holländer, Tschechen, Russen, Litauer, Griechen und andere
reiche Völker diesen Weg nahmen, um autobahnstauvermeidend nach Ischgl zum
Skifahren zu fahren.
    Dann zog er sich auf eine laut Messingschild vom Optiker geförderte
Sitzbank zurück, von wo aus er sich durch das kunstvoll geschnitzte Loch in der
Zeitung ungestört dem Gegenstand seiner Begierde widmen konnte. Sozusagen die
Erstrecherche eines Benefizunternehmens. Er hatte freien Blick auf den
Dirndl-Gachinger. Es war zwanzig vor zwölf.
    Menschen gingen beim Gachinger ein und aus. Viele Menschen. Große,
kleine, dicke, mitteldünne, mehr weibliche Menschen als männliche. Pfeifen
qualmende Männer, knoblauchimprägnierte Frauen. Langsam, hechelnd und
quietschend, mit auf dem Pflaster scharrenden Füßen bewegten sich die Leute
vorwärts Richtung Eingang, als wären sie auf dem Gang zum Schafott. Die meisten
gingen leer hinein und kamen mit vollen Händen wieder heraus. Gedränge war kein
Ausdruck dafür, was hier geschah. Es war eher wie ein Aufmarsch, eine
Zusammenrottung, ein Aufbäumen, ein Volksaufstand vor der großen Revolution.
Vielleicht, dachte Hadi, ist das der Beginn einer unermesslichen Glückssträhne,
die einem guten

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