Sakramentisch (German Edition)
Niedergeschlagenheit und Schwermut geschrieben.
Das schlägt sich natürlich in der Handlung, im Personal, in der gesamten
verdammten Schreibe nieder.
Anstatt zu sagen »Auf geht’s!«, meidet der Hadi zum Beispiel jedes
Risiko eines flotten Banküberfalls. Ist doch lahm, der Typ, oder? Hab ich doch
gleich gesagt.
Legen Sie das Buch weg oder geben Sie’s zurück!
So. Ab jetzt ist Lesen Ihr ganz persönliches Risiko. Ich werd mich
nicht mehr einmischen.
DREI
In welchem Ort wir uns befinden, verrate ich nicht. Ich
meine, in welchem Ort der Hadi Yohl wohnt. Er selbst hat die heutzutage übliche
ständige Erreichbarkeit abgeschafft. Nicht im Internet, nicht im Telefonbuch,
nicht am Schwarzen Brett beim Tengelmann, nirgends sind seine Anschrift oder
seine Telefonnummer zu finden. Sein so gut wie neues Handy hat er irgendwann in
den träge dahinfließenden grünen Inn geschmissen. Und als einmal die kühle
Blonde vom Gemeindeblatt die Adresse veröffentlichte, hat er sie gleich am
nächsten Tag erwürgt. Mit Morden kannte er sich ja aus, der Hadi, nicht aber
mit Bankraub und verwandten Aktivitäten, die Artur zu Geld verhelfen könnten.
(Der Mord wurde übrigens nie aufgeklärt. Ich glaube, nicht einmal entdeckt
wurde er.)
Deshalb bemühte er sich weiter. Er rief seinen guten Bekannten Dr. Werner
Stuffer an.
Werner war Rechtsanwalt. Advokat, wie er sich selbst bezeichnete.
Ein schwabbeliger, teiggesichtiger Junggeselle, der sich nach oben in schmale
Schultern und einen kegelförmigen Birnenkopf verjüngte, auf dessen einer Seite
glattes weißes Haar wuchs, während auf der anderen nur ein paar Strähnen
klebten. Trotz wahnsinnig dicker Beine bewegte er sich gazellengleich,
allerdings mit einer fast schon kuriosen Vorsicht. Zum Beispiel sprang er nie
höher als einen Meter fünfundsiebzig. Werner war Anfang sechzig, verfügte über
Scharfsinn und ein Wahnsinns-Fachwissen, sein linkes Ohr war bei einem
Segelunfall vor Kroatien abgerissen worden. Werners Jugendtraum war es immer
schon gewesen, einen Kriminalroman zu schreiben.
Apropos Jugend. Werner war am Samerberg aufgewachsen und hatte dort
seine Jugend verbracht. In dieser bergigen Region von Oberbayern kursierte das
Gerücht, dass es dort so viele Bäume gibt, weil für jeden Stuffer, der je
gelebt hatte, ein Baum gepflanzt worden war. Und die Gegend um den Samerberg,
bis hoch in die Hochries hinauf, war voll mit Bäumen. Es gab kaum einen, der
nicht Stuffer hieß oder von einem solchen abstammte.
An diesem geheimnisvollen, finsteren Samerberg wird man nicht
Rechtsanwalt. Dort wird man Holzknecht, Wirt, Schreiner, Skifahrer. Maximal
Snowboarder oder Friseur. Und wenn sie ihre Friseurlehre rund um den Samerberg
beendet haben, ziehen sie nach Rosenheim und machen ein neues Friseurgeschäft
auf. Deshalb gibt es so unglaublich viele Friseure in Rosenheim. Rosenheim hat
die höchste Friseurdichte auf diesem Planeten. Selbst in den Schwulenvierteln
von San Francisco gibt es nicht so viele davon. Und alle schneiden Haare,
wickeln sie auf, färben und tönen sie, fegen und wischen sie weg und machen sie
irgendwie anders als vorher. Nicht alle sind schwul, nicht alle sprechen
türkisch. Aber alle scheinen ganz gut zu sein, denn sie halten sich.
Werner, nachdem er bei einer dreisprachigen, einarmigen
Friseurmeisterin aus Aserbaidschan ausgelernt hatte, entschied, seiner
Intelligenz Rechnung tragen zu wollen, und studierte iuris prudentia, also
Rechtswissenschaften. Nach dem Zweiten Staatsexamen hätte er Richter werden
können, Assistent seines Doktorvaters, Syndikus eines Samerberger
Trachtenvereins, möglicherweise Justitiar bei Hubert von Goisern. Er bekam
sogar ein Angebot, der Rechtsabteilung der Volksbank Raiffeisenbank Niederschlesien eG
beizutreten. Doch Werner wurde Rechtsanwalt in Rosenheim.
Er entschied sich für diese Variante, denn
siebenhundertachtundzwanzig Rechtsanwälte in Rosenheim, einer temperament- und
blutvollen Stadt mit eigener TV -Krimiserie, einer
blonden Oberbürgermeisterin und 60.923 Einwohnern, können nicht irren.
Rosenheim hat die höchste Anwaltsdichte auf dem Planeten. Selbst Passau und
Regensburg, Städte mit anerkannt ausgeprägter Streithansldichte, fallen,
gemessen an Rosenheims Rechtsanwaltszahl, schändlich ab.
Dieser Werner saß gerade bei der abendlichen Brotzeit gegen
zweiundzwanzig Uhr zwölf allein mit seiner Katze in seinem Studierzimmer.
(Alleinstehende Rechtsanwälte essen in der Regel nie vor zehn. Sie kämen
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