Sakrileg – The Da Vinci Code: Inkl. Leseprobe aus „Inferno“
Anagramme als ars magna , »große Kunst«.
Langdon sah Sophie in die Augen. »Was Ihr Großvater sagen wollte, hatten wir die ganze Zeit schon vor der Nase. Er hat uns Hinweise in Hülle und Fülle hinterlassen, damit wir es sehen.«
Ohne ein weiteres Wort zog er einen Kugelschreiber heraus und schrieb die Buchstaben der einzelnen Zeilen in einer anderen Anordnung auf.
O, Draconian devil!
Oh, lame saint!
war das lückenlose Anagramm von
Leonardo da Vinci!
The Mona Lisa!
21. KAPITEL
D ie Mona Lisa.
Einen Augenblick lang vergaß Sophie, dass sie soeben noch über die Nottreppen aus dem Louvre hatte fliehen wollen.
Ihr Schock wurde nur noch von ihrer Verlegenheit übertroffen, weil sie nicht von allein auf die Lösung gekommen war. Ihre berufsbedingte Fixierung auf komplizierte Zusammenhänge hatte sie ein schlichtes Wortspiel übersehen lassen, doch es hätte ihr nicht entgehen dürfen . Schließlich war sie mit Anagrammen bestens vertraut, vor allem mit solchen in englischer Sprache.
Als Sophie ein Kind gewesen war, hatte ihr Großvater gern Anagramme als Übungsfeld für die englische Rechtschreibung benutzt. Einmal hatte er das englische Wort »planets« für Planeten aufgeschrieben und Sophie mit der Behauptung neugierig gemacht, dass man aus den paar Buchstaben dieses Wortes zweiundneunzig andere englische Wörter verschiedener Länge zusammensetzen könne. Sophie hatte sich drei Tage lang mit einem englischen Wörterbuch hingesetzt und sämtliche zweiundneunzig Wörter ausgeknobelt.
»Ich kann nicht begreifen, wie Ihr Großvater in den wenigen Minuten vor seinem Tod noch in der Lage gewesen ist, sich ein so raffiniertes Anagramm auszudenken«, sagte Langdon mit einem Blick auf den Computerausdruck.
Sophie wusste es sehr wohl, und der Gedanke war ihr erst recht peinlich. Dass du das nicht gesehen hast! Sie erinnerte sich daran, dass ihr Großvater, der Kunstkenner und Liebhaber von Wortspielen, sich als junger Mann zum Spaß Anagramme auf die Titel berühmter Kunstwerke ausgedacht hatte. Eines seiner Anagramme hatte ihn sogar in gewisse Schwierigkeiten gebracht. Beim Interview mit einer amerikanischen Kunstzeitschrift hatte er sein Missfallen an der modernen Kunstrichtung des Kubismus zum Ausdruck gebracht, indem er bemerkte, der Titel von Picassos Meisterwerk Les Demoiselles d’Avignon (Die Mädchen von Avignon) sei ein perfektes Anagramm von vile meaningless doodles (eitles nichtiges Gekritzel).
Die Picasso-Liebhaber waren alles andere als begeistert.
»Mein Großvater hat sich das Mona-Lisa-Anagramm vermutlich schon vor langer Zeit überlegt«, meinte Sophie mit einem Seitenblick auf Langdon. Und heute Nacht war er gezwungen gewesen, es als improvisierten Code einzusetzen. Die Stimme ihres Großvaters hatte mit einer Klarheit aus dem Jenseits zu ihr herübergerufen, die sie betroffen machte.
Leonardo da Vinci!
Die Mona Lisa!
Sophie hatte keine Ahnung, weshalb seine letzten Worte ein Verweis auf das berühmte Gemälde waren, aber sie konnte sich nur einen Grund vorstellen. Einen beunruhigenden Grund.
Es waren gar nicht seine letzten Worte.
Wollte er sie zum berühmtesten Gemälde der Welt schicken, der Mona Lisa ? Hatte ihr Großvater dort eine Nachricht für sie hinterlassen? Es schien durchaus plausibel. Das Gemälde hing in der Salle des États , einem abgeschlossenen Ausstellungsraum, der nur von der Grande Galerie aus zugänglich war. Sophie fiel ein, dass man die Leiche ihres Großvaters nur zwanzig Meter vom Saaleingang entfernt aufgefunden hatte.
Vor seinem Tod hätte er ohne weiteres noch zur Mona Lisa gehen können.
Innerlich hin und her gerissen schaute Sophie das Nottreppenhaus hinauf. Sie wusste, dass sie Langdon unverzüglich aus dem Museum schaffen musste, doch eine innere Stimme forderte genau das Gegenteil. Wenn ihr Großvater ihr ein Geheimnis mitzuteilen hatte, konnte es kaum einen geeigneteren Ort dafür geben als Leonardo da Vincis Mona Lisa .
Ihr erster Besuch beim berühmtesten Gemälde der Welt kam Sophie in den Sinn. Sie war damals noch ein Kind gewesen …
»Nur noch ein kleines Stück«, hatte ihr Großvater geflüstert, als er Sophie an ihrer winzigen Hand nach Besuchsschluss durch das verlassene Museum geführt hatte.
Sie war damals sechs Jahre alt gewesen. Der Blick hinauf zur gewaltigen Decke und hinunter auf das verwirrende Muster des Fußbodens verlieh ihr das Gefühl, klein und unbedeutend zu sein. Das verlassene Museum machte ihr Angst, doch ihr
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