Salai und Leonardo da Vinci 01 - Die Zweifel des Salai
sehr wenige Diener zur Seite, die seinem Vorbild gefolgt waren. Seltsamerweise wird aber gerade diese Episode, die Alexander VI. Ehre macht, von den Historikern niemals erwähnt.
Dies ist nur ein Beispiel für die Art und Weise, wie die offizielle Geschichtsschreibung sich mit den Borgia und den historischen Quellen befasst hat, die sie betreffen: oberflächlich, blind und vor allem unverfroren parteilich. So überlebte der negative Mythos um die Familie Alexanders VI. und blieb bis heute unangetastet. Die Auswirkungen eines solchen Mythos auf das kollektive Bewusstsein sind sehr viel größer, als man denkt. Jede Ideologie hat ihr unbezweifeltes Ungeheuer, ihr negatives Paradigma, das die ihm innewohnende Amoralität fortwährend zu beweisen scheint, ja es stellt geradezu ihren Gipfel und ihre Verkörperung dar. Für den Faschismus ist das Mussolini, für den Kommunismus Stalin, für den islamischen Fanatismus Bin Laden. Natürlich gelingt der Beweis umso besser, je gröber und demagogischer das negative Vorbild ist. Analog lässt sich bei nationalen Entitäten verfahren, und so ist die Mafia das klassische Exemplum für die italienische Unehrlichkeit, der Sonnenkönig für die wahnhafte grandeur der Franzosen. Und für die unausrottbare Korrumpierbarkeit der Kirche? Die Borgia natürlich, deren Namen alle kennen. Vor allem aber fiele es schwer, andere Namen zu nennen. Die dämonisierende Legende um Alexander VI. und seine Verwandten war eine unersetzliche Waffe für alle Verleumder der Kirche zur Zeit, als Luther auf den Plan tritt.
Der Borgia-Papst war und ist ein Sündenbock, der allen, auch den Katholiken, gelegen kommt, weil er durch seine Rolle verhindert, dass sehr viel unbequemere und kompliziertere Wahrheiten der Geschichte ausgegraben werden müssen.
Bis heute sind Historiker bemüht, den kolossalen Betrug zum Schaden der Borgia zu verbergen und diskreditieren all jene, die die schwarze Legende um Alexander VI. anzweifeln.
Wenn sich konträre Thesen nicht widerlegen lassen, versucht man eine Diskussion um Details zu vermeiden und dem Gegner stattdessen generell seine Glaubwürdigkeit abzusprechen. Oreste Ferrara, der mutige, unorthodoxe Biograph Alexanders VI. ( El Papa Borgia , Madrid 1938), wurde von der berühmten, einflussreichen Autorin Maria Bellonci, die eine Biographie über Lucrezia Borgia verfasste, und von der «Civiltà Cattolica», einer Zeitschrift der Jesuiten, auf schroffe Weise angegriffen und verächtlich gemacht. Gegen Peter De Roo und seine geduldige, bis heute unübertroffene Forschungsarbeit in den vatikanischen und anderen Archiven ( Material for a History of the Pope Alexander VI, his relatives and his time , 5 Bde., Brügge 1924), wurde, wie wir sehen werden, eine klassische Totschweigekampagne inszeniert. Andrea Leonetti, ein weiterer Historiker des 19. Jahrhunderts, der auf Archivforschungen gestützte Beweise liefern konnte, um Lügen und Vorurteile zu widerlegen ( Papa Alessandro sesto secondo documenti e carteggi del suo tempo , Bologna 1880), wurde ebenfalls zur Vergessenheit verdammt. Sogar das präzise und gewöhnlich stets gut unterrichtete Bautz-Lexikon (vgl. Bautz Biographischbibliographisches Kirchenlexikon , Bd. I [1990], Spalten 104-105, von Friedrich Wilhelm Bautz persönlich verfasst) versäumt es, in seiner Bibliographie das monumentale Werk (etwa 2600 Seiten) von De Roo zu erwähnen. Auch der jüngst erschienene, sehr sachverständige Aufsatz von A. Ilari (« Il liber notarum di Giovanni Burcardo», in: Roma di fronte all’Europa al tempo di Alessandro VI , Akten des Kongresses, Rom 2001, S. 249ff.) begnügt sich listig damit, die Existenz des Werkes von De Roo mit einer einzigen Zeile in einer Fußnote zu erwähnen und als Warnung mit der lakonischen Bemerkung zu versehen: «Von der Kritik nicht anerkannt.»
Burkards Fälschung
Die Geschichte um das berühmte Tagebuch des päpstlichen Zeremoniniars gehört zu den aufschlussreichsten Episoden dieses ungeheuren, tragischen Betrugs. Johannes Burkard, genannt Burcardo, war der wichtigste Ankläger der Borgia, und spätere Historiker berufen sich fast ausschließlich auf seine Aussagen. In seinem Tagebuch hat der Zeremonienmeister des Papstes das Fundament dafür gelegt, dass der schlechte Ruf Alexanders VI. und seiner Familie seit Jahrhunderten andauert, es ist die Quelle, die mehr als jede andere dazu beigetragen hat, die schwarze Legende um den Borgia-Papst zu schaffen und seine Verwandten mit Schmähungen
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