Salai und Leonardo da Vinci 01 - Die Zweifel des Salai
einen Großteil seines Lebens gewidmet), tauchte nun prompt zum richtigen Zeitpunkt auf.
Aufschlussreich für die Methoden, die der österreichische Historiker anwandte, um seine eigene Sichtweise durchzusetzen, ist eine heute vergessene Episode, an die zu erinnern sich lohnt. 1928 wurde Pastor, der österreichischer Botschafter beim Heiligen Stuhl war, von dem deutschen Historiker Joseph Schnitzer ( Der Tod Alexanders VI. Eine quellenkritische Untersuchung , München 1929) öffentlich beschuldigt, er habe versucht, Schnitzers Werke auf den (damals noch existierenden) Index verbotener Bücher setzen zu lassen, und er habe durch Druck auf die päpstlichen Behörden erwirkt, dass Schnitzer der Zutritt zu den vatikanischen Archiven verwehrt wurde – eine «Strafe», die der Vatikan dem Forscher seltsamerweise ohne jede Erklärung auferlegte.
Seit langem schon herrschte zwischen den beiden Historikern eine starke Rivalität, und zwar gerade wegen Schnitzers Arbeiten über die Epoche Alexanders VI. Auf die Anschuldigungen seines Kollegen antwortete Pastor mit einem Zeitungsartikel, in dem er behauptete, dessen Anklagen seien «unwahr und unbewiesen». In der Zwischenzeit benannte Schnitzer jedoch öffentlich die Zeugen ( Der Tod … op. cit. S. 8-10) für die heimlichen Sondierungen, die Pastor bei der Kongregation für den Index verbotener Bücher im Hinblick auf eine mögliche Indizierung des Werks seines Gegners vorgenommen hatte. Die Angelegenheit hatte keine Folgen, da die beiden Jesuitenkardinäle, auf deren Unterstützung in der Kongregation Pastor gezählt hatte, inzwischen von der Bühne abgetreten waren. Darum fiel es Pastor leicht, die Vorwürfe als «unwahr» zu bezeichnen, denn seine Manöver waren nur geplant gewesen und unausgeführt geblieben. Ebenso gut passte der Begriff «unbewiesen» auf Schnitzers Ausschluss aus der Vatikanischen Bibliothek: Wer hätte jemals die Beweise dafür finden können, dass Pastor, der Unterstützung auf höchster Ebene im Vatikan genoss, seinem Kollegen Schnitzer so raffiniert ein Bein gestellt hatte?
Ein weiterer schlauer modus operandi Pastors, um den Leser zu verwirren, ist das selektive Zitieren der Quellen. Von De Roo (vgl. Bd. II, S. 120) stammt folgende Beobachtung: Es gibt einen umstrittenen Brief Papst Pius’ II. an den damaligen Kardinal Rodrigo Borgia, in dem der Papst ihm vorwirft, sich auf einer Reise nach Siena, der Heimatstadt des Papstes, anstößig und unsittlich benommen zu haben. In diesem Brief schrieb der Papst, ihm sei das Gerücht zu Ohren gekommen, während eines Festessens in einem Garten mit Damen und Kavalieren aus Siena habe Rodrigo Borgia die ganze Gruppe zu Tänzen angestachelt und sodann den anwesenden jungen Damen schamlos den Hof gemacht. Der Brief ist von mehreren Forschern als Fälschung identifiziert worden, da seine Sprache stark vom gewohnten Briefstil Pius’ II. abweicht. Der schwerste Makel dieses Dokuments ist jedoch sein ganz und gar unwahrscheinlicher Inhalt: Der Kardinal Borgia soll sich den anwesenden Damen nämlich nicht nur genähert, sondern sie sogar von ihren rechtmäßigen Kavalieren getrennt haben. Angeblich hat ein Lakai (natürlich im Auftrag von Rodrigo Borgia) vor dem Eingang des Gartens den Brüdern, Vätern und Gatten der Damen den Zutritt verwehrt, die Damen dagegen, die alle ungeduldig darauf warteten, von dem spanischen Kardinal hofiert zu werden, in Scharen eintreten lassen. Die Begleiter sollen brav vor dem Gartentor auf die Rückkehr ihrer frivolen Frauen, Töchter und Schwestern gewartet haben, und danach habe in ganz Siena der Klatsch geblüht. Zu Recht bemerkt De Roo, dass die Szene unglaubwürdig ist: Hätten Dutzende Ehemänner, Verlobte, Väter und Brüder des Sieneser Adels ihre Frauen und Mädchen wirklich massenhaft den Fängen eines lüsternen, sittenlosen Kardinals überlassen? Waren diese Frauen wirklich alle so begeistert von der Begegnung, dass sie bereit waren, innerhalb von fünf Minuten ihren anständigen Ruf vor der ganzen Stadt zu kompromittieren? Und warum sollte ganz Siena am nächsten Tag nur schlecht über Kardinal Borgia gesprochen haben, nicht aber über leichtfertige Brüder, gewissenlose Väter und betrogene Ehemänner?
Pastor, dem vollkommen klar war, wie lächerlich dies klingen musste, hat in seiner Geschichte der Päpste klugerweise nur den glaubwürdigeren Teil des Briefes von Pius II. zitiert, in dem erwähnt wird, dass Rodrigo Borgia sich zwischen zwei Tänzen zügellos
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