Salai und Leonardo da Vinci 01 - Die Zweifel des Salai
ein in das Kontinuum, das vom Abendländischen Schisma bis zur Reformation reicht und den Aufbau des Kirchenstaates beabsichtigte»; der Ablauf des simonistischen Konklave, bei dem er gewählt wurde, zeigt, dass «die Praxis allgemein üblich war» (was nicht im Geringsten in Zweifel gezogen wird). Alexander VI. ist kein Ungeheuer: Er war Teil eines Systems, darum genügt es nicht, nur einem Mann die Schuld zu geben. Man muss die gesamte Kirche jener Zeit verurteilen. Für dieses Vorhaben stehen übrigens genügend materielle Mittel bereit: Zwischen den verschiedenen Redebeiträgen verkündet ein Vertreter des Ministeriums, dass der italienische Staat in den nächsten Jahren den Kreis der Vereinigungen, die öffentliche Gelder bekommen, einschränken wird, doch «Rom in der Renaissance» werde man sogar großzügiger als zuvor subventionieren.
Der Satz, mit dem das Publikum verabschiedet wird, flüchtet sich in eine ästhetische Betrachtungsweise, um der einzigen wirklichen Frage auszuweichen, nämlich ob Rodrigo Borgia unwürdig war oder nicht: «Es geht nicht darum, Alexander VI. zu begnadigen, sondern höchstens darum, ihm etwas hinzuzufügen, was ihn appetitlicher macht.»
Apropos Appetit: Nachdem die Kongressteilnehmer die verderbten Sitten des Papstes eingehend untersucht hatten, fand auf einer der Terrassen der Engelsburg ein festliches Abendessen bei Kerzenlicht statt. Der elegante Abend ausgerechnet in der Festung, die Rodrigo Borgia wieder aufbauen und von Pinturicchio mit Fresken ausmalen ließ, hat – nach Aussagen der Cateringfirma – etwa 10.000 Euro gekostet. Ein schöner Toast auf das Andenken Alexanders VI.
2007: Der letzte Angriff auf den Borgia-Papst
Nach dem Toast in der Engelsburg vergehen nur wenige Monate, schon verbreiten die Zeitungen und Fernsehnachrichten in aller Welt unter lautem Getöse eine spektakuläre Nachricht: Endlich soll der Beweis (noch einer?) für die Liebesaffäre zwischen Alexander VI. und Giulia Farnese gefunden worden sein. Im Juni 2007 wird im Guggenheim Museum in New York das Fragment eines Freskos ausgestellt, das man für ein Werk Pinturicchios hält. Es zeigt ein Jesuskind, das von zwei Händen gehalten wird, vermutlich die der Madonna, und dessen Fuß sich auf eine dritte Hand stützt, die einer unbekannten Person gehört. Entdeckt wurde das Fragment, das sofort «Der Jesus der Hände» getauft wird, von Professor Franco Ivan Nucciarelli, Dozent für Ikonologie an der Universität Perugia, 2004 bei einem Kunsthändler. Er konnte einen italienischen Industriekonzern überzeugen, das Kunstwerk zu kaufen, restaurieren zu lassen und öffentlich bekannt zu machen (zu besichtigen auf der Webseite: http://www.margaritelli.com/fondazione/pinturic/chio/eng/interna.asp?ln=62&sez=6466).
Warum die ganze Aufregung? In Mantua wird in einer privaten Sammlung ein Gemälde aus dem 16. Jahrhundert von geringer künstlerischer Qualität aufbewahrt, das eine Kopie des Jesuskindes von Pinturicchio zu sein scheint, und zwar eine Kopie des ganzen Werks (auch sie ist auf der oben angegebenen Internetseite zu sehen). Auf dieser vollständigen Kopie sieht man nämlich, dass das Kind auf dem Schoß der Madonna sitzt und dass die Hand, die seinen Fuß stützt, niemand Geringerem gehört als dem Borgia-Papst. In der Rekonstruktion von Nucciarelli passt dieses Gemälde auf eine Stelle in den Lebensläufen von Vasari, der 1568, also gut fünfundsechzig Jahre nach dem Tod des Papstes, von gewissen Gerüchten berichtet, nach denen Pinturicchio «über einer Zimmertür die Signora Giulia Farnese in der Gestalt unserer Lieben Frau porträtierte, und auf demselben Bild auch den Kopf von Papst Alexander, der sie anbetet». Von denselben Gerüchten hatten schon Rabelais (ja, genau der des Gargantua und Pantagruel ) im Jahr 1532 und das berüchtigte Tagebuch von Stefano Infessura berichtet …
Nach Infessura befand sich das blasphemische Porträt in den Borgia-Gemächern im Vatikan über der Sopraporte des Kubikulums, eines kleinen Korridors, der in das Schlafzimmer des Papstes führte. Nach dem Tod Rodrigo Borgias wurde es aus Scham über eine solche Blasphemie bedeckt.
Doch diese Maßnahme sollte nicht genügen. 1612 (also über hundert Jahre nach dem Tod des Papstes) beauftragte ein Gonzaga, der neidisch auf die Familie Farnese war, den unbekannten (und untalentierten) Maler Facchetti mit einer Kopie des Werks. Der Gonzaga wollte beweisen, dass der Aufstieg der Farnese sich nur der
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