Salambo
Seite der Bildsäule stand der Oberpriester ebenso unbeweglich wie er, eine assyrische Mitra auf dem Kopf. Er senkte das Haupt und betrachtete sein goldenes Brustschild mit den weissagenden Steinen, in denen sich die Flammen in den Regenbogenfarben widerspiegelten. Bei Hamilkars Gebärde erschrak und erblasste er. Der Sufet sah nicht hin. Beide standen dem glühenden Ofen so nahe, dass der wallende Saum ihrer Mäntel ihn von Zeit zu Zeit streifte.
Die ehernen Arme bewegten sich schneller. Sie ruhten keinen Augenblick mehr. Jedes Mal, wenn man wieder ein Kind darauf legte, streckten die Molochpriester die Hände darüber, um es mit den Sünden des Volkes zu belasten, und schrien:
âEs sind keine Menschen, sondern Tiere!â
Und die Menge ringsum wiederholte: âTiere! Tiere!â
Die Gläubigen riefen: âHerr, iss!â Und die Priester der Proserpina, die sich aus Angst mit den Bräuchen Karthagos abfanden, murmelten die eleusinische Formel: âGieà Regen aus! Sei fruchtbar!â
Kaum am Rande der Ãffnung, verschwanden die Opfer wie Wassertropfen auf einer glühenden Platte. Und eine weiÃe Rauchwolke stieg jedes Mal aus der scharlachroten Glut empor.
Die Gier des Gottes war unersättlich. Er verlangte immer mehr. Um ihn zu befriedigen, schichtete man mehrere Kinder auf einmal in seinen Händen auf und schlang eine Kette darüber, um sie festzuhalten. Anfangs wollten einige Gläubige die Opfer zählen, um zu sehen, ob ihre Zahl den Tagen des Sonnenjahres entspräche. Doch man legte eins auf das andere, und es war bei der raschen Bewegung der furchtbaren Arme unmöglich, die einzelnen zu unterscheiden. Das währte lange, endlos, bis zum Abend. Dann wurde die Glut im Innern dunkler, und man erkannte brennendes Fleisch. Manche glaubten sogar Haare, Glieder und ganze Körper wahrzunehmen.
Der Tag ging zur Neige. Rauchwolken schwebten über dem Baal. Der Opferherd glühte nur noch. Eine Aschenpyramide war herab gerieselt, die dem Gott bis zu den Knien reichte. Ãber und über rot, wie ein blutüberströmter Riese, schien er mit seinem zurückgeworfenen Haupt unter der Last seiner Sattheit zu wanken.
Je emsiger die Priester wurden, umso mehr nahm der Wahnsinn des Volkes zu. Als nicht mehr allzu viel Opfer übrig waren, schrien die einen, man solle diese schonen, aber die anderen riefen, man müsse ihrer noch mehr holen. Es war, als ob die mit Menschen beladenen Mauern unter dem Gebrüll des Entsetzens und der mystischen Wollust zusammenbrächen. Gläubige drängten sich in die Gänge und schleppten ihre Kinder herbei, die sich an sie anklammerten. Sie schlugen sie, um sie von sich loszumachen und den roten Männern zu überliefern. Die Spielleute hielten bisweilen erschöpft inne. Dann hörte man das Schreien der Mütter und das Prasseln des Fetts, das auf die Kohlen herabtropfte. Die Bilsenkraut-Trinker krochen auf allen vieren um den Koloss herum und brüllten wie Tiger. Die Yidonim weissagten. Die Geweihten sangen mit zerrissenen Lippen. Man hatte die Schranken durchbrochen. Alle begehrten ihr Teil an dem Opfer. Väter, deren Kinder eben gestorben waren, warfen wenigstens deren Bilder, Spielzeug und aufbewahrtes Gebein ins Feuer. Manche stürzten sich mit Messern auf die anderen. Man brachte sich gegenseitig um. Die Tempeldiener scharrten die herab gefallene Asche in Schwingen aus Erz und streuten sie in die Luft, um die Opferwirkung über die ganze Stadt und bis in den Sternenraum zu senden.
Der laute Lärm und der helle Feuerschein hatte die Barbaren an den Fuà der Mauern gelockt. Um besser zu sehen, kletterten sie an den Trümmern der Helepolis hoch und schauten starr vor Entsetzen zu.
***
Kapitel 14
In der Säge
Die Karthager waren noch nicht in ihre Häuser zurückgekehrt, als sich die Wolken bereits dichter ballten. Die vor dem Koloss Gebliebenen fühlten groÃe Tropfen auf der Stirn. Der Regen begann.
Er fiel die ganze Nacht hindurch, reichlich, in Strömen. Donner rollten. Das war Molochs Stimme. Er hatte Tanit besiegt, und die befruchtete Göttin öffnete nun dort oben ihren RiesenschoÃ. Bisweilen erblickte man sie durch zerrissene Wolken auf Nebelkissen ruhend, bald aber schlossen sich die düsteren Dunstgebilde wieder, als sei Tanit noch müde und wolle weiter schlafen. Die Karthager, nach deren Glauben das Wasser vom Mond geboren wird, schrien. Das sollte
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