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Salambo

Salambo

Titel: Salambo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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und die ganze Volksmenge drängten sich hinter den Priestern, überallhin, bis auf die flachen Dächer der Häuser. Die großen bunten Sterne kreisten nicht mehr, die Tabernakel waren auf den Boden gestellt, und die Qualmsäulen der Weihrauchfässer stiegen senkrecht empor, wie riesige Bäume, die ihre bläulichen Wipfel im Äther entfalten.
    Manche wurden ohnmächtig. Andere standen starr und versteinert in ihrer Ekstase. Unendliche Bangigkeit lastete auf aller Brust. Die letzten Rufe verhallten nach und nach. Das Volk von Karthago atmete schwer und lechzte nach dem Entsetzlichen.
    Endlich fuhr der Oberpriester Molochs mit der Linken unter die Schleier der Kinder, riss einem eine Haarlocke von der Stirn und warf sie in die Flammen. Dann stimmten die Männer in den roten Mänteln den heiligen Hymnus an:
    â€žHeil dir, Sonne, König beider Zonen, Schöpfer, der sich selbst erzeugt, Vater und Mutter, Vater und Sohn, Gott und Göttin, Göttin und Gott!“
    Ihre Stimmen gingen unter im Schall der Instrumente, die alle auf einmal einfielen, um das Geschrei der Opfer zu übertönen. Die achtsaitigen Scheminits, die zehnsaitigen Kinnors und die zwölfsaitigen Nebals knarrten, pfiffen und stöhnten. Riesige Dudelsäcke gaben ihren scharfen rasselnden Ton von sich. Die aus Leibeskräften geschlagenen Trommeln brummten in dumpfen, wilden Wirbeln, und durch das wütende Trompetengeschmetter rauschten die Salsalim wie schwirrende Heuschreckenflügel.
    Bevor die eigentliche Feier begann, prüfte man vorsichtiger weise die Arme des Gottes. Dünne Ketten liefen von seinen Fingern zu den Schultern hinauf und über den Rücken wieder hinab, wo sie von Männern gezogen wurden. Auf diese Weise stiegen seine beiden offenen Hände bis zur Höhe der Ellbogen empor, näherten sich einander und legten sich dann vor die Opfermündung seines Leibes. Man zog die Ketten mehrmals hintereinander mit kleinen ruckweisen Bewegungen und ließ dann wieder los. Dann schwieg die Musik. Das Feuer prasselte.
    Die Molochpriester schritten auf dem Postament hin und her und beobachteten die Menge.
    Es bedurfte eines persönlichen, gänzlich freiwilligen Opfers, das gewissermaßen die anderen nach sich zog. Bisher aber zeigte sich niemand, und die sieben Gänge, die von den Schranken hin zu dem Kolosse führten, blieben leer. Da zogen die Priester, um das Volk zu ermutigen, Geißeln aus ihren Gürteln und zerfetzten sich die Gesichter. Nun ließ man auch die Geweihten, die draußen auf dem Boden hingestreckt lagen, in die Umzäunung. Man warf ihnen ein Bündel furchtbarer Marterwerkzeuge zu, und jeder wählte sich eins. Sie stießen sich Nadeln in die Brust, schlitzten sich die Wangen auf und setzten sich Dornenkronen aufs Haupt. Dann umschlangen sie einander mit den Armen und umringten die Kinder in einem zweiten großen Kreise, der sich bald zusammenzog, bald erweiterte. Sie liefen bis an das Geländer zurück, stürzten wieder vor und fingen immer von neuem an, indem sie die Menge durch den Zauber dieses blutigen, lärmvollen Schauspiels anlockten.
    Allmählich kamen Leute bis an das Ende der Gänge. Sie warfen Perlen, goldene Schalen, Becher, Leuchter, all ihre Reichtümer in die Flammen. Die Opfer wurden immer kostbarer und massenhafter. Schließlich wankte ein Mann herein, ein bleicher, vor Entsetzen entstellter Mensch, und stieß ein Kind vor sich her. Alsbald erblickte man zwischen den Händen des Kolosses einen kleinen schwarzen Körper, der oben in der unheimlichen Öffnung verschwand. Die Priester neigten sich über den Rand des Postaments, und ein neuer Gesang erhob sich, der die Freuden des Todes und die Wiedergeburt in der Ewigkeit pries.
    Die Kinder wurden nun eins nach dem anderen hochgehoben, und da der Rauch in großen Schwaden empor wirbelte, so sah es von weitem aus, als verschwänden sie in einer Wolke. Keines rührte sich. Sie waren an Händen und Füßen gefesselt, und ihre dunklen Schleier hinderten sie, etwas zu sehen oder genau erkannt zu werden.
    Hamilkar, wie die Molochpriester in einem roten Mantel, stand vor dem Baal neben der großen Zehe des rechten Fußes des Kolosses. Als man das vierzehnte Kind opferte, machte er, jedermann sichtbar, eine heftige Gebärde des Abscheus. Doch sofort nahm er seine frühere Stellung wieder ein, kreuzte die Arme und starrte zu Boden. Auf der anderen

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