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Salambo

Salambo

Titel: Salambo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustave Flaubert
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Alraun einnehmen. Nachts schlief sie auf einem Säckchen wohlriechender Kräuter, die von den Oberpriestern gemischt worden waren. Schahabarim hatte sogar Alraun angewandt, eine feuerrote Wurzel, mit der die bösen Geister nach Norden vertrieben werden. Zu guter Letzt murmelte er, gegen den Polarstern gewendet, dreimal den geheimen Namen der Tanit. Doch Salambo blieb leidend, und ihre Beklemmungen wurden immer stärker.
    Niemand in Karthago war so gelehrt wie Schahabarim. In seiner Jugend hatte er auf der Schule der Mogbeds zu Borsippa bei Babylon studiert, hatte dann Samöthrake, Pessinunt, Ephesus, Thessalien, Judäa besucht, die Tempel der Nabatäer, die halb verweht im Sand lagen, und er war zu Fuß an den Ufern des Nils von den Katarakten bis zum Meer hinab gepilgert. Vor der Brust des Sphinx, des Vaters des Schreckens, hatte er mit verschleiertem Antlitz, Fackeln schwingend, einen schwarzen Hahn auf einem Sandarakfeuer geopfert. Er war in die Grotten der Proserpina hinab gestiegen. Er hatte die fünfhundert Säulen des Labyrinths auf Lemnos sich drehen und den Leuchter von Tarent brennen sehen, der auf seinem Schaft so viele Lampen trug, als es Tage im Jahr gibt. Nachts empfing er zuweilen Griechen, um von ihnen zu lernen. Die Weltordnung beunruhigte ihn nicht weniger als das Wesen der Götter. Er hatte mit den Astrolabien im Portikus zu Alexandria die Äquinoktien beobachtet und hatte die Bematisten des Euergetes, die den Himmel durch Schrittzählungen ausmaßen, bis nach Kyrene begleitet. Und so war in seiner Gedankenwelt eine besondere Religion erstanden, ohne feste Formeln, aber gerade deshalb voller Glut und Mystik. Den Glauben, dass die Erde wie ein Pinienapfel gestaltet sei, hatte er abgetan. Er hielt sie für rund, für eine Scheibe, die ewig falle, in die Unendlichkeit hinein, mit einer so fabelhaften Geschwindigkeit, dass man ihren Fall gar nicht merkt.
    Aus der Stellung der Sonne über dem Mond schloss er auf die Vorherrschaft des Sonnengottes, von dem die Sonne selbst nur Widerschein und Sinnbild war. Überdies zwang ihn alles, was er von irdischen Dingen beobachtete, zu der Erkenntnis, dass das vernichtende männliche Prinzip das höhere sei. Auch gab er der Mondgöttin insgeheim die Schuld am Unglück seines Lebens. Hatte ihn nicht ihretwegen der Oberpriester einst beim Schall der Zimbeln unter einer Schale siedenden Wassers der künftigen Mannheit beraubt? Schwermütig folgte sein Blick den Männern, die sich an den heiligen Hetären der Tanit im Schatten der Haine erfreuten.
    Seine Tage rannen dahin, während er die Räucherpfannen beaufsichtigte, die goldenen Gefäße, die Feuerzangen, die Harken vor dem Altar, die Gewänder der Götterbilder und dergleichen mehr, bis herab zu der Metallnadel, mit der das Haar eines alten Tanitbildes gekräuselt wurde, in der dritten Kapelle nahe dem Weinstock mit den Smaragden. Immer zur gleichen Stunde schlug er die breiten Vorhänge der gleichen Türen zurück und ließ sie wieder fallen. In der gleichen Haltung stand er mit ausgebreiteten Armen da oder lag betend auf den gleichen Steinfliesen, während ein Schwarm von Priestern um ihn her barfuß durch die Gänge wandelte, die in ewigem Dämmerlichte schlummerten.
    In der Öde seines Lebens sah er Salambo wie eine Blume in der Spalte einer Gruft. Und doch war er streng mit ihr und ersparte ihr keine Buße und kein hartes Wort. Seine Geschlechtslosigkeit schuf zwischen ihr und ihm eine Art von Gleichheit. Er grollte der Jungfrau weniger, weil er sie nie besitzen konnte, sondern weil er sie so schön und vor allem so rein fand. Oft sah er, wie es ihr schwer fiel, seinen Gedanken zu folgen. Dann ging er tieftraurig von ihr, und dann fühlte er sich ganz verlassen, einsam und leer.
    Zuweilen entfuhren ihm seltsame Worte, die vor Salambo aufleuchteten wie gewaltige Blitze, die Abgründe erhellen. Das geschah in den Nächten oben auf dem flachen Dach des Palastes, wenn sie beide allein die Sterne betrachteten und Karthago tief unten zu ihren Füßen prangte, mit seinem Golf und dem weiten Meer, das sich im Dunkel der Schatten verlor.
    Er dozierte ihr eine Lehre, nach der die Seelen auf dem gleichen Weg zur Erde hinabsteigen, den die Sonne durch die Zeichen des Tierkreises wandelt. Mit ausgestrecktem Arme zeigte er ihr im Widder das Tor des menschlichen Ursprunges und im Steinbock das der Rückkehr zu den

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