Salamitaktik
nicht die Männer zu sein, die er bei der Lefèvre gesehen hatte. Sonst hätte der mit der Pistole bei seiner Frage nach der Kosmetik-Chefin nicht so überrascht reagiert. Das wiederum wertete Schlaicher erst einmal als gutes Zeichen. Eins zu eins, damit war er so weit wie zuvor.
»So, ihr geht jetzt da hoch.« Der Mann zeigte auf die Treppe. Sein Anzug sah aus, als hätte er um einiges mehr gekostet als die Klamotten, die Schlaicher Lutz und sich selbst gerade im Karstadt auf Mitarbeiter-Konditionen spendiert hatte.
Als weiteres gutes Zeichen wertete Schlaicher, dass Dr. Watson quietschfidel war. Er hatte gerade den Rest von irgendetwas heruntergeschlungen und begrüÃte und beschnüffelte nun freudig wedelnd sein Herrchen. Schlaicher merkte dem Hund die Enttäuschung an, dass er die Arme nicht herunternahm, um die BegrüÃung zu erwidern, sondern stattdessen die Treppe hochstieg, direkt gefolgt von Lutz. Dr. Watson machte kurz entschlossen auch wieder kehrt. Als Letzter ging der Fremde hoch, die Pistole wahrscheinlich weiterhin auf sie gerichtet.
Oben wartete die nächste Ãberraschung auf sie. Im Fernseher lief eine stumm geschaltete Zeichentrickserie, vor der ein gefesselter Erwin Trefzer saÃ. »Es dued mr leid. I haa di nidd chönne warne«, sagte er.
»Setzt euch auf das Sofa«, befahl der Anzugträger. Der andere, Mario, schien mit ihm hier zu sein, fühlte sich allerdings sichtbar unwohl. Er war ganz blass im Gesicht. Der junge Mann setzte sich auf Schlaichers Bürostuhl am Computer und beobachtete die Situation. Der mit der Pistole blieb stehen. »Endlich haben wir dich gefunden«, sagte er zu Schlaicher.
»Ich wusste nicht, dass ich gesucht wurde.«
»Wo sind die Sucuk?«
»Sucuk?«, fragte Schlaicher verwirrt.
»Jo, das frooge si mi au scho allfurzlang.«
»Das war dein Koffer?«, fragte Schlaicher, dem langsam dämmerte, was hier los war.
»Auf jeden Fall war es nicht deiner. Also: Wo sind die Sucuk? Ich habe nur eine gefunden.«
Klar, die eine Wurst, die Trefzer angeschnitten und ihm unten in die Küche gelegt hatte. Schlaicher hatte sie aufgehängt, da Dr. Watson versucht hatte, dranzukommen.
»Ich will die anderen haben«, ergänzte Irfan.
»Bitte, es ist wirklich wichtig.« Der Junge auf dem Bürostuhl erntete für diesen Satz einen vernichtenden Blick und schrumpfte zusammen.
Wenn diese Typen ihn ausfindig gemacht hatten â wie, konnte Schlaicher sich beim besten Willen nicht vorstellen â, bei ihm einbrachen und drei Geiseln nahmen, mussten diese blöden Würste ihnen wirklich sehr wichtig sein. Sie ihnen einfach zu geben, würde aber wahrscheinlich nicht wirklich helfen, sicher aus der Sache rauszukommen. Es machte eher den Eindruck, als würden sie alle zum Dank eine Kugel in den Kopf bekommen, wenn die Gangster erst einmal hatten, was sie wollten. Vielleicht konnte er irgendwie Zeit schinden. Schlaicher hatte dabei nur eine Sorge, und die hieà Erwin Trefzer. Wenn der jetzt verriet, dass er die Würste in seiner Scheune aufgehängt hatte, um sie bei seinem nächsten Vollbart-Treffen anzubieten, wäre jeglicher Vorteil wieder dahin. Er musste seine Antwort sehr präzise formulieren.
»Wenn ich dir sage, wo die Sucuk sind, was haben wir dann für eine Garantie, dass uns nichts passiert?«
Der Anzugträger überlegte kurz und sagte: »Ich gebe euch mein Wort.«
»Das ist mir nicht genug. Ihr werdet von uns nicht erfahren, wo die Würste sind «, betonte er.
Trefzer schaute auf. Er schien jetzt zu begreifen, dass Sucuk Würste waren. Ob er verstand, dass der letzte Satz mehr an ihn gerichtet war als an den Kerl mit der Pistole, wusste Schlaicher allerdings nicht. Also sprach er schnell weiter. »Ihr verschwindet jetzt von hier, und ich werde euch die Würste an einen Ort bringen, an dem eine sichere Ãbergabe stattfinden kann.«
Trefzer senkte den Kopf wieder, und Schlaicher atmete innerlich auf.
»Ich kenne Mittel und Wege, um euch zum Sprechen zu bringen«, meinte der Dunkelhaarige.
Bevor Schlaicher etwas erwidern konnte, sagte der Junge: »Hey, Irfan, da passiert was in diesem Lager.«
Aha, er heiÃt also Irfan, dachte Schlaicher im Aufstehen. Das passierte so automatisch, dass er sich erst danach bewusst wurde, dass der Typ immer noch die Pistole auf ihn richtete. Er verharrte. Statt ihn
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