Salamitaktik
überschlagen haben und nur noch ein Haufen Schrott gewesen sein. Das hat mir später jemand erzählt, der mit der Feuerwehr vor Ort war, um meine Eltern freizuschneiden. Beide sind direkt beim Unfall gestorben. Es muss schnell gegangen sein. Opa hatte einen Nervenzusammenbruch, als er davon erfahren hat. Er ist nicht mehr derselbe seitdem.«
»Und dein Onkel?«, unterbrach ihn Irfan zum ersten Mal.
»Der war verschwunden. Wahrscheinlich hatte er irgendwo mitbekommen, was passiert ist, und sich versteckt. Das ganze Dorf hat ihn gesucht, und erst zwei Tage später ist er wieder aufgetaucht, weil er Angst hatte, dass seine Hühner sonst verhungern.« Mario lächelte. »Es war eine verdammt harte Zeit danach. Für uns alle. Aber es hat uns ganz eng zusammengeschweiÃt.«
Beide schwiegen eine längere Zeit und hingen ihren Gedanken nach. Dann griff Mario nach der Fernbedienung seiner Anlage und startete die CD , die darin lag. Es war der gute alte Bob Marley, der davon sang, dass man aufstehen und für seine Rechte kämpfen sollte. Nach ein paar Takten begannen beide, im Reggae-Rhythmus mit dem Kopf zu nicken. Beim zweiten Lied, »I shot the Sheriff«, stand Mario auf, tanzte ein wenig und sang mit. Irfan trank noch seinen Tee aus und stieà erst bei »No Woman, no Cry« dazu.
10
Schlageter und Helbach hatten gestern beim Griechen ordentlich Wein und Bier flieÃen lassen. Der Metaxa, der ihnen mit der Rechnung gebracht worden war, hatte beiden den Rest gegeben. Im Taxi hatte Schlageter beschlossen, die Nacht einfach auf dem Feldbett im Büro zu verbringen. Nach mehrfachem nächtlichem Aufwachen â der Grund war eine Mischung aus zu viel Grillfleisch, zu viel Retsina und einem Kopf voller Sorgen â hatte er um fünf Uhr achtundfünfzig die Nacht für beendet erklärt. Erholt fühlte er sich nicht, eher gerädert. Und er hatte einen Durst, als könnte er einen ganzen Kasten Wasser auf einmal austrinken.
Er legte die Wolldecke zusammen, verstaute das wieder zusammengefaltete Feldbett im Schrank und ging zuerst in den Herrenwaschraum, wo er ein paar Hände voll Wasser aus dem Hahn trank und eine heiÃe Dusche genoss. Seine Lebensgeister kehrten aber erst dann wirklich zurück, als er einen Kaffee aufgesetzt und die Wartezeit bis zum ersten Schluck erfolgreich hinter sich gebracht hatte. Es war Samstag. Seine Wohnung war versaut. Heute fand das Abschiedsfest statt. AuÃerdem hatte er noch einen Mordfall aufzuklären. Schlageter hätte auf diesen Tag am liebsten verzichtet. Stattdessen startete er vorsichtig Helbachs Computer und gab dessen nicht gerade kreatives Kennwort ein: »Polente«.
Schlageter versuchte, sich über die polizeilichen Programme ein Bild von Brockmann zu machen. Er fand einen Eintrag wegen Telefonierens ohne Freisprechanlage, zwei kleinere und eine heftige Geschwindigkeitsübertretung und eine Anzeige wegen eines Kunstfehlers, die allerdings zurückgezogen worden war. Natürlich interessierte ihn diese Verfehlung besonders. Zweieinhalb Jahre war der Vorfall her. Es hatte sich um eine Frau gehandelt, die in Basel lebte und auf der hiesigen Seite der Grenze zu einem Bruchteil der Basler Kosten etwas für ihre Schönheit hatte tun wollen. Botox. Dieses Zeug schien eine wahre Goldgrube zu sein. In den Berichten hatte die Frau angegeben, ihr sei zu viel gespritzt worden. Der Beamte hatte als Kommentar dazu geschrieben, dass sie kaum noch das Gesicht bewegen konnte, und auf ein Foto verwiesen, das Schlageter nach einigem Suchen auch im Computer fand. Die Dame sah wirklich gruselig aus, geschwollen an Stirn und Lippen, die Wangen rot und straff. Dazu musste man sagen, dass sie wohl auch vorher keine sonderliche Schönheit gewesen war. Wie Schlageter aber las, hatte nicht nur Brockmann, sondern auch der Amtsarzt bescheinigt, dass die Schwellungen bald zurückgehen würden. Zudem hatte die Frau eine Patienteninformation unterschrieben, auf der stand, dass es in seltenen Fällen zu solchen und ähnlichen unerwünschten Nebenwirkungen kommen könnte. Brockmann war das also nicht anzulasten. Und das zu schnelle Fahren oder Telefonieren während der Fahrt machte auch keinen Mörder aus ihm.
Helbach kam um kurz nach neun und wunderte sich, seinen Vorgesetzten an seinem Computer zu finden. Man merkte ihm den Alkohol von gestern nicht an, er fragte Schlageter aber sogleich, ob er
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