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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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einem Bottich mit Kreidegrund und fing an, das Bild zu übermalen. Hätte Can o’ Beans, der/die in der Dünung des endlosen Atlantiks ums nackte Überleben kämpfte, das erfahren, so hätte er/sie sich wahrscheinlich einfach aus seinem/ihrem pfläumchenrosa Bunker gestürzt und sich zum Müll auf dem von Seesternen übersäten Meeresgrund gesellt.
     
    Ein eisiger Kreidenebel legte sich über das Bild. Bald war die obere Hälfte verschwunden. Dass die Worte «Bohnen» und «in Tomatensauce» unter den Schwaden noch deutlich sichtbar waren, hätte Can o’ Beans nicht besänftigen können. «Und wenn ein ungeduldiger, dreister Gilbert Stuart eines schönen Morgens die obere Hälfte seines Washington-Porträts mit weißem Zeug überpinselt hätte?», hätte er/sie möglicherweise gefragt. «Könnten Schulkinder ein Doppelkinn und einen runden weißen Kragen betrachten und sie als Dinge identifizieren, die sich im Krieg, im Frieden und in den Herzen ihrer Landsleute ausgezeichnet hatten? Wenn Leonardo …» Nein, Can o’ Beans wäre nicht zu beruhigen gewesen, wenngleich er/sie es vielleicht merkwürdig gefunden hätte, dass die Hälfte seines/ihres Porträts unversehrt blieb.
    Die Erklärung dafür war, dass Ellen Cherrys Tüncherei von einem Klopfen an der Tür unterbrochen wurde. «Wer ist da?», rief sie.
    «Eine Lieferung.»
    «Eine Lieferung?»
    «Von Ihrem Blumenhändler.»
    Das war seltsam. Lieferungen, auch Blumen, wurden normalerweise beim Türsteher abgegeben. Sehr seltsam. Außerdem hatte die Stimme (männlich) einen merkwürdigen Akzent gehabt, so wie einer aus dem Süden, der versucht, Französisch zu sprechen. Buddy Winkler fiel ihr ein, doch es war nicht Buddys Stimme, und ein Zittern wie von Furcht überkam sie.
    Ohne die Kette abzunehmen, öffnete sie die Tür einen Spaltbreit. Draußen stand ein uniformierter Verkaufsfahrer, der geradewegs den zwanziger Jahren entsprungen schien. Er trug eine braune Jacke mit zwei Reihen Messingknöpfen, Reithosen, die in hohen Schnürstiefeln steckten, und ein Offizierskäppi mit glänzendem schwarzem Schirm. Er sah aus wie der Chauffeur des Großen Gatsby. Doch noch während sie ihn in die Sparte Anachronismen einstufte, musste sie einräumen, dass alle möglichen auf vornehm getrimmten Uptown-Blumenhandlungen imstande wären, ihren Fahrer in einen derart lächerlichen Aufzug zu stecken, und dann sah sie, dass er eine dieser länglichen grünen Schachteln unter dem Arm trug, in der häufig Rosen verpackt sind. Außerdem hielt er eine braune Papiertüte in der Hand, die mit dem Firmenemblem von Barnes & Noble bedruckt war, und das fiel ihr auf, obwohl, wenn er für eine größere Firma arbeitete, war es gut möglich, dass er auch Bücher auslieferte. Trotzdem gefiel ihr das Ganze nicht. Irgendetwas stimmte nicht an diesem Bild. Die dunkle Brille zum Beispiel. Der geschniegelte kleine Spitzbart, der kein bisschen aufgefallen wäre, wenn er in einem brasilianischen Fluss geschwommen wäre. Die Art, wie er sie anstarrte und sich mit der Zungenspitze nervös über die Unterlippe fuhr.
    Mit der freien Hand zog sie sich den Kimono enger um den Hals. Wenn dieser Clown Titten sehen wollte, sollte er zum Mardi Gras fahren. Sie überlegte, ob sie die Tür gerade so weit öffnen sollte, dass sie die Blumen in Empfang nehmen konnte. Immerhin hatten die Reithosen einen altmodisch geknöpften Hosenschlitz, nicht sehr praktisch für einen Vergewaltiger. Andererseits, was, wenn die Schachtel von Onkel Buddy war, was, wenn sie etwas anderes enthielt als Rosen? Nein, der Kerl in dem Affenaufzug starrte sie immer noch an und leckte sich die Lippen. Sie hatte ein komisches Gefühl.
    «Geben Sie sie unten beim Pförtner ab», sagte sie. Als sie die Tür zugeworfen hatte, horchte sie an der Täfelung. Mehrere Minuten vergingen, bevor er den Gang hinunter zum Aufzug ging. Aus einem Fenster sah sie, wie er das Ansonia verließ. Er trug die Tüte, nicht jedoch die Schachtel.
Wahrscheinlich ist es okay
, dachte sie, aber im nächsten Augenblick drehte er sich um und starrte zu ihr hinauf. Ellen Cherry machte einen Satz vom Fenster weg, gerade als er die Hand hob, um zu winken.
     
    Sie zog sich in Windeseile an, warum, wusste sie auch nicht. Ein Höschen wurde so heftig aus der Schublade gezerrt, dass Daruma richtig schwindlig wurde. Es war, als beginne vor seinen Augen alles zu verschwimmen. «Satori ist immer flüchtig. Reines Licht erfüllt das Bewusstsein wie die Hand eines

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