Salomes siebter Schleier (German Edition)
verputzen zu lassen. Das Restaurant würde während der Thanksgiving-Woche schließen, damit die Arbeiter werkeln konnten. «Das Personal erhält ein paar Tage bezahlten Urlaub», verkündete Abu. Das Personal begrüßte die Nachricht mit Jubel – es war hektisch zugegangen in diesem Herbst –, doch einige der Gäste jammerten. Nicht nur, dass sie eine Woche ohne Salome auskommen mussten, nein, der Thanksgiving Day war für den Football dasselbe wie der St. Patrick’s Day für den Schnaps.
«Jetzt muss ich zu Hause bleiben und die Spiele auf meinem Mickergerät ansehen», jammerte ein griechischer Delegierter. «Und mich obendrein in der Halbzeit um meine Frau kümmern.»
«Cowboys haben eben nie Feierabend», sagte Ellen Cherry und gähnte.
«Ich fürchte, da haben Sie ein Non sequitur produziert», erklärte ein ägyptischer Arzt, der ziemlich klugscheißerisch mit seinem jüngst erworbenen Englisch protzte.
«Verpiss dich», gab Ellen Cherry zurück. Sie hatte einen dieser regelmäßig auftretenden Anfälle, in denen sie sich als gescheiterte Künstlerin sah.
«Oxymoron!», erklärte der Arzt und erläuterte ihr, warum. «Es ist unmöglich, sich zu verpissen, man kann nur geradeaus, nach rechts oder links und im Bogen pissen. Oder nicht?»
Ellen Cherry seufzte. Bis Thanksgiving war es noch Wochen hin.
Mittlerweile hatten sie den zerfetzten Bambusbehang notdürftig wieder an den Wänden befestigt. Die Räume sahen aus, als wären sie mit besonders gesunden Frühstücksflocken beschichtet, ein unter der Bezeichnung «Früh übt sich» bekanntes Dekor. In dieser äußerst glasfiberhaltigen Atmosphäre setzte Salome ihre Auftritte fort, weigerte sich jedoch nach wie vor, den Tanz der sieben Schleier zu tanzen, ganz gleich, wie flehentlich die Bitten von den Müsliwänden widerhallten.
November. Salome tanzte, Ellen Cherry managte, und die Israelis wählten. Boomer berichtete Ellen Cherry in allen Einzelheiten darüber. Faule Tricks, vorgetäuschte terroristische Anschläge, Lügen, Drohungen und Einschüchterungsstrategien jedes stinkigen Kalibers. Boomer war begeistert. Natürlich gewannen die Rechten. Konservative verstehen sich auf Halloween, Liberale nur auf Weihnachten. Wenn man eine Bevölkerung kontrollieren will, darf man ihr nicht mit Sozialleistungen kommen, sondern muss ihr die Hölle heißmachen. Vielleicht war der Kommunismus wirklich passé, aber ach – da gab es die Schreckgespenster Terrorismus und Drogen, mit denen sich gedankenlose Massen einschüchtern und unterdrücken ließen. «Das habe ich aus meinen Spionageromanen gelernt», schrieb Boomer. «Wenn du den Kids beibringen willst, wie die Welt tatsächlich funktioniert, nimm ihnen ihre Staatskundebücher weg und gib ihnen ein paar gute Spionagethriller zu lesen. Übrigens, könntest du mir den neuesten Tom Clancy schicken? Kann ihn hier nicht kriegen.»
Boomer fuhr fort, nun, da sich die Rechten ihren Platz gesichert hätten – sie würden den Joystick offiziell im Januar übernehmen –, sei es sonnenklar, dass es zu einigem Aufruhr kommen würde, wenn ihr Monument enthüllt wurde. Und dann überraschte er sie unter der in Großbuchstaben geschriebenen Überschrift STRENG VERTRAULICH ! mit einer Beschreibung des Monuments.
Die Beschreibung war eingehend; sie vermittelte nicht nur ein Bild von den hervorstechendsten äußerlichen Merkmalen der Skulptur, sondern enthielt auch historische, mythologische und kulturelle Anspielungen, die er kaum aus einem Spionageroman haben konnte. Was immer sie von der Ästhetik der Skulptur halten mochte, die verbale Präsentation war einfach umwerfend, und das ungeachtet der Tatsache, dass sie in einer fürchterlichen Sauklaue geschrieben war. Sie schloss die Augen, und als sie das tat, sah sie nicht nur das Monument vor sich, das er so eindringlich beschrieben hatte, sondern auch Boomers süßen Kopf, von dem das Haar floh wie das Ozon von der Arktis. War ihr Groll gegen ihn einer Sehnsucht gewichen, einem gespenstischen, unbewussten Verlangen, einer Begierde, die über das rein Körperliche hinausging, einer Sehnsucht nach seiner Persönlichkeit, seinem Sein, seinem …
Bewusstsein
?
Ellen Cherry riss sich aus den albernen Tagträumen und kehrte wieder zu seinem Brief zurück. Es schien, als hätte Boomer Probleme mit den Behörden wegen einer Kiste, die Buddy Winkler ihm geschickt hatte. Boomer wusste nicht, was drin war. Die Zollbehörden in Tel Aviv hatten sie beschlagnahmt mit der
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