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Salomes siebter Schleier (German Edition)

Salomes siebter Schleier (German Edition)

Titel: Salomes siebter Schleier (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Robbins
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griechischen Gottes der Zahnmedizin, kapituliert hätte. Dieser groteske Esel hatte einen wohlproportionierten menschlichen Körper, bis auf die Stellen, wo sein Gewand (dessen Muster das Grün des Islam mit dem Blau von Judäa vereinte) offen stand. Dort sah man die von Milch schwellenden Brüste einer Frau und den lässig pendelnden Penis eines normalen Mannes. Am linken Fuß trug die Kreatur ein hochhackiges Pantöffelchen, am rechten den Schnürstiefel eines Arbeiters.
    «Was soll das sein?», fragte Spike. «Lucky Luke auf Speed? Ed von Schleck?»
    «Sie sind doch Künstlerin», sagte Abu ein wenig zögernd, denn er hatte bisher kaum Zeugnisse ihrer Kunst gesehen. «Was halten Sie von dieser hermaphroditischen Comic-Figur?»
    Ellen Cherry studierte das Monument aufmerksam. Boomers Brief zu lesen und es dann sozusagen in Fleisch und Blut vor sich zu sehen, waren zweierlei Paar Stiefel. Nicht dass er es nicht exakt beschrieben hätte, aber das Ding war, nun ja, vitaler, als sie sich vorgestellt hatte, viel dynamischer und ergreifender, selbst in seinem jetzigen Zwergenzustand.
    «Hmmmm», sagte sie. «Hmmm.»
    «Hmmmm», wiederholte Spike. «Unsere kleine Künstlerin hat zu sagen nicht mehr als ‹Hmmmm›?»
    Ellen Cherry ignorierte ihn. Sie musterte das Modell und schüttelte ihre aufgedrehte Spielzeugmähne – ob aus Verzweiflung oder Verwunderung, konnten sie nicht sagen. Schließlich antwortete sie: «Nun, was immer es ist, mit Comics hat es nichts zu tun. Im Gegenteil, es ist ziemlich stark, sowohl im kinetischen als auch im totemistischen Sinne.»
    «Siehst du?», sagte Spike. «Was ich habe dir gesagt? Nur ein Künstler begreift die
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von eine Künstler.»
    «Dann wissen Sie auch nicht, was es ist?», fragte Abu.
    «O doch, das tue ich», korrigierte ihn Ellen Cherry. «Aber natürlich weiß ich, was es ist.»
     
    Das Land Palästina, das ehemalige Kanaan, wurde nach Pales benannt.
    Pales war ein Gott. Der Eselsgott. Oder die Eselsgöttin. Im Allgemeinen war er männlich, aber manchmal war sie weiblich, und manchmal haftete dem Geschlecht auch ein bisschen etwas Ambivalentes an.
    Der Name Pales war arabisch; er stammte aus Libyen, doch die Hebräer liebten das langohrige bisexuelle Monstrum nicht weniger als die Araber. Der römische Historiker Tacitus schrieb, die Semiten verehrten den Esel, denn hätte es keine wilden Esel gegeben, hätten sie in der Wüste niemals überlebt. Wahrscheinlich war es komplizierter als das.
    Der Esel war ein Retter, der Milch, Fleisch und Schuhleder lieferte und zugleich den Transport von Gütern ermöglichte (was die Bibel als «goldenes Kalb» bezeichnete, war in Wirklichkeit ein Goldesel, denn so viele Rindviecher hatte es in der Levante nie gegeben).
    Im Übrigen war der Esel ein Dickkopf, ein Faultier und ein sexueller Nimmersatt.
    All diese Eigenschaften verkörperte auch Pales; er war Trickster, Geist der Fruchtbarkeit und heiliger Clown, der über die zügellosen Leidenschaften der Menschen herrschte und die Bedürfnisse der Sterblichen erfüllte, allerdings erst, nachdem er ihnen gründlich auf der Nase herumgetanzt war.
     
    Das alles erklärte Ellen Cherry Abu und Spike, so wie Boomer es ihr erklärt hatte. «In der linken Hand, der weiblichen Hand, der mit den langen Fingernägeln, hält er einen Krug Milch und ein Glas Honig. Die welligen weißen Stäbe in der männlichen Hand dagegen sollen den heißen Wüstenwind symbolisieren. Ich glaube, sie nannten ihn ‹Eselsatem›. Dieser Wind bedeutete Ärger.»
    «Wie könnte es anders sein, wenn er ‹Eselsatem› heißt?», sagte Abu. «Trotzdem, es ist musikalisch. Ein kleines Gedicht.»
    «Nu, den Wind kenne ich. Im Sinai ich habe ihn gespürt. Oj! Was für ein Wind! Er erregt nicht nur die Körper, sondern auch die Geist.»
    Nachdem sie die beiden Sponsoren aufgeklärt hatte, wen oder was die Statue darstellen sollte, hängte Ellen Cherry noch eine Erklärung darüber an, wie die beiden Künstler darauf gekommen waren. «Boomer sagt, die Figur soll Araber und Juden an ihre gemeinsamen Wurzeln erinnern. Vor langer Zeit haben sie dieselbe Gottheit verehrt, und eine Menge von dem Zeug, was sich in beiden Religionen bis heute erhalten hat, lässt sich auf gemeinsame Kulte zurückführen. Er sagt, sie soll daran erinnern, dass dieses Land, um das sie so erbittert gekämpft haben, nach einem schreienden Dummkopf benannt ist. Und das soll ihnen etwas zeigen. Unter anderem, dass sie sich nicht so ernst nehmen

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