Salon der Lüste - 3
abgesehen von deren Zuneigung zu Saint, überhaupt nicht viel über ihre Mutter nachgedacht. Ihr war gar nicht der Gedanke gekommen, wie sehr ihre Mutter um die Mädchen trauern musste, die sie seit Jahren gekannt und für die sie gesorgt hatte.
Zwar mochte ihre Mutter ein Bordell führen, doch es war das kostspieligste und vornehmste in ganz England. Ihre Mädchen wurden gut bezahlt, bekamen Unterricht und wurden häufiger ärztlich untersucht, als es das Gesetz vorschrieb. Zudem hatten sie jederzeit das Recht, einen Kunden abzuweisen. Die Damen im Maison Rouge wurden nicht in die Prostitution gezwungen, und man erwartete von ihnen, dass sie sich damenhaft benahmen, nicht wie gewöhnliche Huren.
Vielleicht war das der Grund, weshalb die Morde ein solcher Schock gewesen waren.
Niemand hatte damit gerechnet, dass einer von ihnen etwas derart Schreckliches zustoßen könnte.
»Es ist spät«, bemerkte Millie. »Ich sollte gehen.«
»Ich sage James Bescheid, dass er dich heimbringt. «
»Lass nur. Ich nehme eine Droschke.«
»Nein, Millie, bitte! Ich möchte mir nicht auch noch Sorgen um dich machen müssen.«
Ein sanftes Lächeln trat auf Millies Züge. »Ich würde gewiss nicht wollen, dass du um mich in Sorge bist, meine Liebe. Schließlich ist es ja nicht so, als hättest du meine zarte Konstitution in der Vergangenheit jemals gefährdet.«
Immerhin schaffte es diese sanfte Zurechtweisung, Ivy ein leises Kichern zu entlocken. »Nein, sicher nicht.«
Leider wurde dieser kurze unbeschwerte Moment durch die Ankunft eines Besuchers unterbrochen, der Ivys weniger zarte Konstitution ernstlich gefährdete.
Saint betrat den Raum in schwarzem Hemd und schwarzer Kniebundhose: Nach jedem erdenklichen Maßstab unangemessen gekleidet also, trug er doch nicht einmal eine Krawatte oder eine Weste. Seine Hemdsärmel waren aufgekrempelt und enthüllten braungebrannte Arme. Er war groß, schlank und bewegte sich mit der Geschmeidigkeit und kaum verhohlenen Selbstsicherheit einer arroganten männlichen Raubkatze.
Millie verstummte genauso wie Ivy, die es ihrer alten Freundin kaum verübelte. In seinem Aufzug, mit dem dunklen Haar, das auf seinem Hemdkragen auflag und ihm wirr in die Stirn fiel, verschlug es jeder Frau die Sprache. Dazu die teuflischen Augen und der Amor-Mund, der zu allem Überfluss auch noch lächelte. Er war einfach sündhaft verführerisch.
»Guten Abend, meine Damen. Ich hoffe, ich störe nicht.«
»Was in aller Welt bringt Sie auf die Idee?«, fragte Ivy spitz, trotz oder gerade wegen seines honigsüßen Tonfalls.
Sein Lächeln schwand nicht etwa. Stattdessen wurde es zu einem selbstbewussten Grinsen. »Die Idee kam mir, als Ihr Lachen in dem Augenblick erstarb, in dem ich den Raum betrat.«
»Das wäre auch bei Jedem anderen geschehen, Mr. Saint.«
»Sie treffen mich tief, Miss Dearing. Viel lieber würde ich glauben, Ihr erschrockener Blick wäre allein mir vorbehalten.«
Sie sollte verärgert sein. Sie sollte ihm auf den Kopf zu sagen, wie enervierend seine Schmeicheleien und Neckereien waren, doch sie lächelte und ließ sich auf sein albernes Spiel ein. »Nichts liegt mir ferner, als Sie von diesem Gedanken abbringen zu wollen, Sir. Glauben Sie es unbedingt, wenn es Sie glücklich macht! «
Oh, wie er sie ansah! Er neigte den Kopf leicht zur Seite, und seine dunklen Augen glühten. Wie konnten so dunkle Augen so leuchten? Er war kein Mann, der mit seiner Bewunderung für das schöne Geschlecht hinter dem Berg hielt, und Ivy stellte fest, dass sie es genoss, bewundert zu werden.
Falls sie sich ihm hingab, würde er sie am nächsten Morgen fallenlassen, dessen war sie sich sicher. Ebenso sicher war sie, dass er es wert war.
Diese Erkenntnis schockierte sie für einen Moment, eine Sekunde lang, um genau zu sein. Sollte er sie in seine Arme nehmen und ihr allen Ernstes erklären, dass er sie begehrte, hätte sie ihn binnen weniger Augenblicke entkleidet. Anscheinend war ihre Mädchenschwärmerei für ihn zu etwas entschieden Gefährlicherem herangereift.
»Was konnten Sie bei Ihrem Ausflug herausfinden?«, fragte sie, um ihre Gedanken zurück zum Wesentlichen zu lenken. »Dies ist meine frühere Nanny, Millie Bullock.
Vor ihr können Sie offen reden.«
Saint lächelte der kleinen Frau zu, und Millie erlag seinem Charme offensichtlich.
»Es ist mir ein Vergnügen, Mrs. Bullock.«
Tatsächlich seufzte Millie, als sie ihm ihre Hand reichte und Saint sie sachte küsste.
Ivy verdrehte die
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