Salon der Lüste - 3
um zu wissen, dass Sie zwar mein Aussehen mögen, aber nicht furchtbar verliebt in das ganze Paket sind. Als Kind konnten Sie mich übrigens recht gut leiden.«
Keine Maßregelung. Keine Schuld. Er sprach schlicht das Offensichtliche aus, und es war offensichtlich, dass er keine Ahnung hatte, wie sehr sie ihn in ihrer Jugend gemocht hatte. »Sollte ich mich entschuldigen?«
Wieder ein Kopfschütteln, begleitet von einem vielsagenden Grinsen, als er sich wieder ganz zu ihr wandte. Ivys Herz vollführte einen kleinen Hüpfer. Dieses Grinsen war es gewesen, das ihr Herz schon vor Jahren gefangen nahm. »Nein, Sie werden mich schon bald wieder mögen.«
Sie lachte. »Also, das war arrogant! «
Auch er lachte. »Fürwahr! Allerdings gehört es auch zu meinem französischen Charme, müssen Sie wissen.«
»Ja, allmählich begreife ich es. Nehmen Sie überhaupt etwas ernst, Mr. Saint?«
Sein Lächeln schwand. »Mein Versprechen Ihnen, Ihrer Mutter und den Mädchen in diesem Haus gegenüber nehme ich sehr ernst.«
Da war noch mehr. Tief im Obsidianschwarz seiner Augen lagen eine solche Reue und ein solcher Kummer, dass Ivy die Brust eng wurde. Sie wollte kein Mitgefühl mit ihm haben, aber sie konnte gar nicht anders. Sie hatte geglaubt, er wäre eine selbstsüchtige Kreatur, und er zeigte ihr, dass er es nicht war. Vielmehr nahm sie an ihm Facetten jenes Mannes wahr, als den sie sich ihn in früheren Jahren erträumt hatte.
»Ich würde Sie gern photographieren.« Das hatte sie eigentlich nicht sagen wollen, aber es kam einfach heraus.
Und er schien nicht minder überrascht als sie, erholte sich gleichwohl schneller wieder. »Warum?«
»Weil ich noch nie einen Mann photographiert habe.«
»Gerade Sie sollten doch wissen, dass ich kein Mann bin.«
»Wodurch es umso interessanter wird, denken Sie nicht?«
Obwohl sie eindeutig scherzte, lächelte er nicht. »Ich habe noch niemandem erlaubt, mich zu porträtieren.«
»Warum nicht? Weil es in Jahren jemand sehen und Sie wiedererkennen könnte, unverändert?«
»Das auch. Aber vor allem weil der Künstler unweigerlich versucht, das Objekt zu seinem Ideal zu machen, statt die Wahrheit abzubilden.«
»Solcherlei Illusionen motivieren mich bei Ihnen nicht, Mr. Saint. Ich würde Sie einfach gern photographieren, wie Sie sind.« Was sie ihm nicht sagte, war, dass sie gern die Chance hätte, ihn kennenzulernen. Vielleicht käme sie dann ein für alle Mal über ihn hinweg.
Eine Weile betrachtete er sie stumm, ehe er schließlich kapitulierte. »Na schön. Sie dürfen mich photographieren.«
Sie hatte alle Mühe, nicht vor Freude auf und ab zu springen. »Wunderbar! Wollen wir vielleicht übermorgen anfangen?«
Er nickte. »Gut.«
Die Freudenhüpfer konnte sie zwar unterdrücken, nicht aber das Lächeln, das ihr auf die Lippen trat. »Ich verspreche Ihnen, dass ich keinerlei idealisierte Vorstellung von Ihnen hege.«
Endlich lächelte er, wenngleich mit einer spöttischen Note. »Die, meine Liebe, müssen Sie sehr wohl hegen, sonst
hätten Sie mich niemals gefragt. «
Im dem belebten Kaffeehaus in der St. James’s Street saßen zwei Männer an einem Ecktisch und tranken starken heißen türkischen Mokka. Für Außenstehende sahen sie wie ein Student und sein Mentor aus oder wie Vater und Sohn. Nichts an ihnen war auffallend.
»Sie erregen Aufmerksamkeit, mein Freund«, sagte Baron Hess, der Ältere von beiden, gelassen. »Sie sollten vorsichtig sein.«
Der jüngere zuckte mit den Schultern, wie es nur junge und selbstbewusste Leute konnten. »Die Polizei hat keinerlei Anhaltspunkte. Nichts bringt mich oder den Orden mit den Taten, in Verbindung. «
»Glauben Sie wirklich, Sie können tun, was keiner vor Ihnen schaffte?«
»Ja.«
»Ihr Vorgänger hatte keinen Erfolg.«
Ein hämisches Grinsen umspielte die Lippen des jungen Mannes. »Ich unterscheide mich gänzlich von meinem Vorgänger. Er wählte gemeine Huren aus, kaum der Ehre wert, die ihnen zuteilwurde.«
»Die Prophezeiung sagt nichts über die Hierarchie der Huren, guter Junge. Sie spricht lediglich von den Frauen im ältesten Gewerbe.«
»Sie müssen dennoch würdig sein.«
Der Baron blickte seinen Begleiter eine Weile schweigend an. Der Junge hatte eine Menge Feuer, und viel hing von seiner Fähigkeit ab, die Prophezeiung korrekt zu deuten. »Sie erwähnten, er hätte auch anderes falsch gemacht.«
»Er nahm die falschen Organe. Der Text besagt eindeutig, dass es das >noble<, Organ sein muss. Die
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