Salon der Lüste - 3
keine Gedanken über die Verbrennungen zu machen, die das Silber auf seiner Haut hinterlassen würde. »Sehr erfreut, Mr. Fontaine.«
»Saint ist Musiker«, fügte Madeline hinzu, deren strahlendes Lächeln ihrer Tochter galt.
»Wie reizend! «, entgegnete Ivy eindeutig skeptisch.
»Werden Sie für uns spielen, Mr. Saint?«, fragte Fontaine mit dem Enthusiasmus der Jugend. »Sie werden feststellen, dass die heutigen Gäste einen Musikvortrag sehr zu schätzen wissen.«
Saint setzte sein bescheidenstes, charmantes Lächeln auf und verneigte sich. »Nun, ich bin zugegebenermaßen höchst empfänglich für die Wertschätzung eines angenehmen Publikums. Deshalb werde ich spielen - vorausgesetzt, Madam Madeline wünscht es.«
Seine alte Freundin sah ihn an, als wäre sie nicht sicher, was er im Schilde führte, aber sie wollte es offenbar herausfinden. »Selbstverständlich. Ladys und Gentlemen«, wandte sie sich an die Abendgesellschaft und klatschte in die Hände, »Saint möchte uns etwas vorspielen.«
Die Musik aus dem Grammophon verstummte, als Saint hinüber zum Flügel in der einen Ecke schritt. Sämtliche Anwesenden beobachteten ihn. Er fühlte ihre Blicke auf sich, und er stellte sich vor, dass Ivys der glühendste von allen war.
Nachdem er seine Frackschöße nach hinten geworfen hatte, setzte er sich auf die Klavierbank.
Noten brauchte er keine. Er musste nicht einmal auf die Tasten sehen. In sechshundert Jahren hatte er genügend Gelegenheit gehabt, seine Fertigkeiten in mancherlei Hinsicht zu vervollkommnen - nicht nur die als Dieb -, und das Klavierspiel zählte zu ihnen. Es hielt seine Finger geschmeidig, was sich unabhängig davon, in welchem Gewerbe man tätig war, als nützlich erwies.
Das leise Gemurmel verstummte, kaum dass Saint die Hände über die Tasten hob.
Die Melodie, die er spielte, war eine Eigenkomposition, die er vor Jahren nach Martas Tod geschaffen hatte. Sie war traurig und romantisch, würde also mehr als ein Auge feucht werden lassen. Inzwischen konnte Samt sie spielen, ohne selbst zu weinen. ja, er spielte sie jetzt, ohne das Gefühl zu haben, ihm würde das Herz aus der Brust gerissen.
Was sagte das über ihn? Er hatte Marta angebetet, sie mit jeder Faser seines Seins geliebt. Wie konnte eine solche Liebe einfach verblassen?
Wenn er eines im Laufe seines langen, langen Lebens gelernt hatte, dann dass Liebe ein Geschenk und er wie ein verwöhntes Kind war, dem das Aufreißen einer Geschenkverpackung mehr Freude bereitete als ihr Inhalt.
Während er spielte, schloss er die Augen, weil er die Gesichter seiner Zuhörer nicht sehen wollte. Musik transportierte ihn verlässlich an einen anderen Ort, der ihm ganz allein gehörte. Dort, in der Dunkelheit hinter seinen Liedern, konnte er mit seinen Gedanken für sich sein und sich der Wahrheit ohne Angst vor Verdammnis stellen.
Seine Finger tanzten über die Tasten, lockten genau die richtigen Tonfüllen hervor.
Ein leichter Strich brachte eine sanfte, beinahe gehauchte Note. Mit seinen Fingerspitzen vermochte er Emotionen zu wecken, wobei dieselben Noten Wut gleichermaßen erregen konnten wie Freude.
Als der letzte Ton verklang, öffnete Saint die Augen wieder und blickte auf. Der ganze Salon starrte ihn an, bevor tosender Applaus ausbrach. Alle applaudierten, bis auf Ivy. Sie stand regungslos zwischen ihrer Mutter und dem jungen Fontaine - die beide klatschten. Ihre eine Hand lag oben auf ihrer Brust, wo sie einiges von der Röte bedeckte, die ihr abermals auf Hals und Gesicht getreten war. Ihre Unterlippe bebte, und in ihren Augen schimmerten ungeweinte Tränen.
Sie wusste es. Sie wusste, was ihm die Musik einst bedeutet hatte, fühlte es. Und sie betrachtete ihn, als sähe sie ihn zum ersten Mal. Unwissentlich hatte er zu viel von sich preisgegeben.
Saint stand auf und trat hinter dem Flügel hervor - etwas schneller, als es einem normalen Mann hätte möglich sein sollen. Aber das machte nichts, denn noch dauerten der Applaus und die »Bravo!«-Rufe an. Außerdem interessierte Saint sich so oder so nur für Ivy.
Er ging zu ihr und blickte in ihre leuchtend grünen Augen. In diesem Moment war sie die schönste Frau, die er jemals gesehen hatte, und er würde seine Unsterblichkeit geben, könnte er dafür sorgen, dass sie nie wieder weinen musste.
Madelines Hand auf seinem Arm war das Einzige, was ihn davon abhielt, Ivy in seine Arme zu nehmen und vor all den Leuten zu küssen. Vor Justin Fontaine. »Das war
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