Salon der Lüste - 3
hockend, drehte er Daisys Kopf behutsam wieder so hin, wie er bei seiner Ankunft gelegen hatte. »Armes Ding! Du hattest ein längeres Leben verdient.«
Sie war noch nicht ganz kalt, also konnte sie nicht lange tot sein. Ihr Mörder musste entsprechend heute Abend im Haus gewesen sein. Er könnte ein Gast sein, aber auch einer der Bediensteten. Der letzte Gedanke kam einem finsteren Schatten gleich, der sich ausbreitete, während er aufstand und nach unten ging, wohin er die anderen geschickt hatte.
Ivy stand gleich hinter der offenen Tür zum Salon, als er eintrat. »Nun?«, fragte sie.
»Hast du etwas gefunden?«
Wäre die Frage nicht von ihr gekommen, hätte er sie einfach überhört. Stattdessen ergriff er ihre Hand und drückte sie kurz. Sie war kälter als das tote Mädchen oben.
Dann blickte er sich unter den Anwesenden um, die ihn ängstlich beäugten. Manche von ihnen hatten rotgeränderte Augen, geschwollen vom Weinen. Andere verhielten sich offen feindselig, während wieder andere sichtlich verängstigt und durcheinander waren. »Ich muss jeden von Ihnen allein befragen«, erklärte er. »Ich verspreche Ihnen, dass ich so wenig von Ihrer Zeit in Anspruch nehmen werde, wie ich kann.«
Natürlich wäre der Mörder ein ausgezeichneter Lügner, und Samt rechnete nicht mit einem Geständnis. Worauf er allerdings hoffte, waren Anzeichen von Täuschung oder vielleicht ein schwacher Blutgeruch an der Kleidung.
Denn es war ausgeschlossen, dass der Mörder keinen Spritzer abbekommen hatte -
vollkommen ausgeschlossen bei einer solchen Tat.
Er begann mit Lord Brennan, der sich recht aggressiv gebärdete, jedoch unübersehbar entsetzt ob der Tragödie war.
»Daisy war immer einer meiner Lieblinge«, erzählte er.
»Waren Sie heute Abend mit ihr zusammen?«
»Nein. Ich war bei Agatha. Ich schätze die Abwechslung.« Er riss seine Augen weit auf. »Oh, mein Gott! Wenn ich nun bei Daisy gewesen wäre? Womöglich hätte er mich auch gleich mit umgebracht! «
Saint lüpfte eine Braue. Brennans Anwesenheit hätte wohl eher Daisy das Leben gerettet als seines gefährdet. »Fürwahr ein knappes Entkommen!«
Als Nächstes befragte Saint Lady Victor und ihren Geliebten, Mr. Atwater, die beide als Voyeure ins Maison Rouge kamen und sichtlich erschüttert waren. Danach folgten ein Mr. Foster, eine Mrs. Clift, die Zwillingsbrüder Albert und Edward Barnes, die sich gern ein Mädchen teilten, und schließlich der Vikar von Kensington - er hieß Barrie -
sowie ein Maler namens Gerard und sein Freund, Monsieur Revierre, der in London Urlaub machte, eine Mrs. Grace, Schauspielerin, und als Letzter Justin Fontaine.
Keiner von ihnen demonstrierte eine Verzweiflung, die über das zu er-wartende Maß hinausging. Niemand roch nach Blut, und bei keinem wies die Kleidung irgendwelche Anzeichen für das Verbrechen auf. Außerdem hatten mehrere, wie die Barnes-Brüder und Monsieur Revierre, Zeugen, die bestätigten, dass sie den Abend über beschäftigt gewesen waren.
Fontaine war erst kurz vor Saint selbst eingetroffen und hatte sich nicht von Ivys Seite bewegt, außer um sich einmal zu erleichtern.
Samt war ratlos. Hatte der Mörder sich unbemerkt ins Haus hineinschleichen und wieder verschwinden können? Seine Männer überprüften sicherheitshalber sämtliche Fenster und Eingänge. In Daisys Zimmer roch es nur nach Blut und im Rest des Hauses nach so vielen Menschen, dass kein einzelner Duft herausstach. Saint sah in das Gästebuch, ob jemand früh wieder gegangen war. Als er es überflog, sah er, dass dies nur auf einen zutraf: Jacques Torrent, Priscilla Maxwells Geliebter.
Er biss die Zähne zusammen. Konnte es sein, dass Torrent Ivy und Madeline so überzeugend getäuscht hatte, was seinen wahren Charakter betraf? Hatte er die Mädchen vom Maison Rouge und seine eigene Geliebte ermordet?
Madeline war viel zu betroffen, als dass er mit ihr reden konnte, also schickte er sie mit einem Löffel Laudanum und dem Versprechen ins Bett, er würde dem Morden ein Ende bereiten. Zwar wussten sie beide, dass dies eine fromme Lüge war, doch Maddie widersprach nicht und zog sich zurück.
»Du solltest dich auch hinlegen«, riet er Ivy. In diesem Moment fühlte er sein Alter deutlich - jedes nutzlose Jahr. »Ich kümmere mich um die Behörden.«
Sie war kreidebleich und hatte rote Augen vom Weinen, richtete sich aber trotzdem kerzengerade auf und sah ihn entschlossen an. »Danke, ich möchte lieber dabei sein, wenn sie alles
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