Salto mortale
Türe war sperrangelweit
offen, und er streckte den Kopf hinein. Da war
das ganze Haus voll Volk und unten in einem
runden Platz standen zwei Pferde und glänzten
wie Spiegel, und das eine war weiß und von
lauter Silber, das andere aber rot und von Gold.
Wie die Rosse das Büblein sahen, wieherten sie
untereinander und es klang wie ein lustiges La-
chen. Und das silberne rief:
„Fang mich geschwind!“
Und das goldene:
„Und mich, mein Kind!“
Das Bübchen wollte sie fangen, sie aber fin-
gen an im Kreis herum zu traben und zu galop-
pieren, und es hinter ihnen her, bis ihm ganz
schwindlig wurde und es hinfiel. Wie es so
lag, hörte es das eine Roß herantänzeln, ja es
spürte im Haar sein Schnaufen und vernahm,
was es sprach:
„Auf den Füßen geht’s nicht!
Auf den Händen, du Wicht!“
Da sprang der Bub wieder auf und ver-
suchte auf den Händen zu gehen und gab nicht
nach, bis die Hände taten, was sonst die Füße
mußten. Und dann wackelte er den Rossen
nach und merkte, daß sie jetzt nicht mehr tra-
ben und galoppieren konnten. Je schneller er
ging, um so langsamer trippelten sie. Und er
lief und lief, bis er Schwielen an allen Fingern
hatte und es so weit brachte, daß die Pferde
nur noch schleichen konnten. Und endlich
holte er das silberne ein. Und wie er es mit
den Füßen berührte, stand es ganz still, senkte
den Kopf, faßte ihn mit den Zähnen hinten am
Kittelchen und hob ihn auf seinen glänzenden
schneeweißen Rücken. Dann wieherte es lustig
in das große Bretterhaus hinauf, und alles Volk
fing an zu klatschen und zu rufen:
„Scheu’ keine Müh’ und gönn’ dir nicht Ruh’,
Dir laufen die Goldfüchse selber zu!“
Das Bübchen aber rief „Hü!“ zu seinem
Schimmel und ritt dem Haus und der Mutter zu,
und der Goldfuchs trabte zur Seite und sagte:
„Dir laufen die Gold — — — füchse — —
sel — — ber — zu.“
Die letzten Worte waren dem Knaben auf
den Lippen langsam erstorben, er war einge-
schlafen. Die Mutter deckte ihn zu und fragte
Heinz: „Und dann?“
„Es ist fertig, Müeti, sie waren nun ja reich!
Denk dir ein goldenes Roß und ein silbernes!“
„Ach, ja!“ sagte sie mutlos. „Woher wißt ihr
diese Geschichten?“
„Die hat uns Herr Häberle erzählt. Kennst du
die nicht von den Goldfinken? Soll ich sie dir
berichten?“ Er hätte der Mutter gerne gezeigt,
daß er noch besser erzählen konnte als Franz,
sie aber tat ihm den Gefallen nicht und hieß
ihn schlafen.
Mit einem schweren Seufzer und seltsam
gemischten Gefühlen legte sich Frau Seline Zö-
beli an jenem Abend in ihre Laken; die schwe-
ren Gedanken gingen in schwere Träume über.
Sie sah den Goldfuchs und den Silberschimmel
in ihr Stübchen klappern, so schwer und wuch-
tig, daß der Boden sich unter ihnen bog und
hinunterzustürzen drohte, und die geängstigte
Frau mit ihnen, denn sie konnte sich nicht rüh-
ren. Die Rosse aber machten sich mit den Gold-
und Silberzähnen über Franzens Azalienstock
her und fraßen ihn auf …
Als die Witwe am Morgen ihrem Zimmer-
herrn den Kaffee brachte, war sie befangen. Er
aber hatte sich seine Rolle bis ins kleinste zu-
recht gemacht und saß wie ein geschlagenes
Hündchen auf seinem Stuhl, er wagte nicht
einmal, die Augen zu der Herrin aufzuschla-
gen. Freilich in seinem „Guten Morgen, Frau
Zöbeli“ lag sein ganzes unermeßliches Liebes-
leid. Einen solchen todesnötlichen Gruß hatte
die arme Frau noch nie gehört, sie schrak zu-
sammen und das Kaffeegeschirr klirrte ängst-
lich, als sie es auf den Tisch niederstellte.
Befangen, wie sie gekommen, ging sie. Er
sah ihr mit Wolfsblicken nach und klappte
dann die Augen eine Minute lang fest zu, wäh-
rend welcher Zeit er überlegte, ob er ihre Ver-
legenheit zu seinen Gunsten oder Ungunsten
deuten sollte. Er legte sie sich günstig aus und
nahm dann wohlgemut sein Frühstück zu sich.
Am Nachmittag, da die jungen Künstler ge-
wohnt waren, ihre Übungen zu machen, zeigte
sich der Lehrmeister einsilbig und traurig.
„Ich mag heute nicht, Jungens!“
„Nicht? Doch, du mußt!“ Sie durften seit ei-
niger Zeit „du“ zu ihm sagen, freilich nur in
Abwesenheit der Mutter, wie er denn überhaupt
begonnen hatte, mit ihnen in manchen Dingen
eine Art Geheimbündelei zu treiben, um sie
nach und nach von der mütterlichen Schürze
wegzuziehen.
„Du mußt, du mußt!“ drängelten sie.
„Nein, heute nicht und
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