Salto mortale
paßt! Ja, es war wohl gut, daß es
zwischen ihnen nicht weiter kam! Sie schämte
sich nun, ihm Gehör und auch ein Stück ihres
Herzens geschenkt zu haben. Sie empfand vor
sich selber jenen Ekel, der diejenigen befällt,
die ihre Liebe an einen Unwürdigen gehängt
haben.
Aber sie sann auch an das andere, an den
Wohlstand, der durch ihn in ihr Stübchen ge-
flossen und an den sie sich so bald gewöhnt
hatte. Nun waren ihre Glücksträume aus, nun
hätte sie sich am liebsten neben ihren Wilhelm
ins Grab gelegt. Oh, daß er nicht da war, wie
wäre sie ihm um den Hals gefallen, um sich
auszuweinen und auszuschluchzen und ihn
um Verzeihung zu bitten.
Heinz stand all die Zeit am Fenster und
starrte auf das Gewirr der Dächer, nur um kei-
nem Menschengesicht, keinem vorwurfsvollen
Blicke zu begegnen.
Den Kleinen allein hatte der Schlag nicht
zermalmt. Wohl begriff er nun, daß mit seiner
Hand auch seine Kunst gebrochen war, und er
hätte bei dem Gedanken am liebsten geweint;
aber wie er Mutter und Bruder so niederge-
schlagen sah, suchte er sich heiter zu stellen,
ging bald zum einen, bald zum andern und
versuchte etwas Gutes zu sagen oder eine Lieb-
kosung anzubringen. Seine Mühe war verloren,
in dem früher so hellen Dachstübchen verwan-
delte sich jedes frohe Wort in eine Klage, in
einen Vorwurf, in einen Nadelstich, jede Ant-
wort war ein Seufzer, ein Zusammenzucken,
eine Träne oder ein ganzer Strom.
Sobald die Sonne hinter die Dächer gesun-
ken war, schickte die Mutter die Knaben in
ihre Kammer, sie ertrug das Zusammenleben
an diesem Abend nicht. Wortlos schlüpften die
Brüder in ihr altes Bett. Als sie nebeneinander-
lagen, schlang Heinz die Arme um den Hals
des Kleinen und sagte in flehentlichem Tone:
„Franzli, gelt, du bist mir nicht böse!“
„Nein, nein, du bist ja nicht schuld!“
„Doch, ich bin schuld, wenn ich nur fort
könnte, weit, weit weg!“
Franz schalt ihn wohlmeinend und zärtlich
ob der Rede und fuhr ihm streichelnd mit der
Hand durchs Haar, bis er selber unter der Wir-
kung der gleichförmigen Bewegung entschlief.
Heinz fand in seiner Beklemmung den
Schlaf nicht. Er hörte die Mutter in der Stube
nebenan auf und ab gehen, lange, endlos, mit
gleichmäßigem schlarfendem Tritte. Endlich
schob sie sich einen Stuhl zurecht, Heinz hörte
ihn unter ihrem Gewichte knacken und glaubte
sie zu sehen, wie sie, den Kopf auf den Tisch
gesenkt, schluchzte und sich härmte. Das er-
schütterte auch ihm die Brust und er hätte laut
aufgeschrien, wäre nicht der schlafende Bruder
in seinen Armen gewesen.
Der Mond schien durch das Dachfenster-
chen auf das Bett und streifte des Kleinen Ge-
sicht, das im Schlafe ruhig dalag, lächelnd, wie
es schien, als schwebte ein friedsamer Traum
darüber.
Es mochte Mitternacht sein, als Heinz die
Türe leise gehen hörte. Ein Lichtschimmer
drang herein und ein behutsamer Tritt nahte.
Der Knabe schloß die Augen, um der Mutter
sein Wachen nicht zu verraten, er fürchtete ge-
scholten zu werden.
Sie trat ans Bett heran, von der Seite her,
wo Franz lag. Heinz sah zwischen den Wim-
pern hindurch, daß sie sich über den Bruder
neigte und ihn mit langen Blicken anschaute,
mit jenen Blicken voll Zärtlichkeit und Teil-
nahme und Liebe, nach denen er sich selber so
sehr sehnte, weil darin für ihn alles, Leben und
Vergebung gelegen hätte. Nun senkte sie das
Gesicht tiefer, und dreimal vernahm er das Ge-
räusch eines Kusses und dann einen schweren
Seufzer und ein Flüstern der Lippen wie ein
kurzes Gebet.
Sie richtete sich wieder empor, warf Heinz,
wie ihn dünkte, einen raschen Blick zu und
entfernte sich dann. Er hatte erwartet, sie
werde nun auch zu ihm treten, sich ebenfalls
über ihn neigen, und er hätte dann die Arme
gereckt, sie ihr um den Hals geschlungen und
so Vergebung erbettelt; aber sie strebte gera-
denwegs zur Türe zurück. Da hielt er es nicht
mehr aus. Er stürzte aus dem Bette und ihr zu
Füßen, umklammerte ihr die Knie mit der gan-
zen Kraft und Inbrunst seiner Arme und seiner
Brust und flehte: „Sei mir nicht böse, Müeti!
Sei mir nicht böse, Franz ist es ja auch nicht!
Ich halte es nicht mehr aus!“
Sie sah hart auf ihn herab, sie hatte den
ganzen Abend nicht an ihn zu denken ver-
mocht, und drängte sein Bild sich ihr doch aus,
so füllte sich ihre Brust immer mit bitterem
Zorn.
„Geh ins Bett und schlafe!“ fuhr sie ihn un-
wirsch an.
„Sag
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