Salto mortale
über-
wache, geschieht ihnen kein Leides. Weil nun
aber die Sache zur Sprache gekommen ist,“
fügte er mit gedämpfter Stimme hinzu und
den Kopf vorstreckend, um ihr recht nahe zu
sein, „muß ich Ihnen einmal den Star stechen:
es wächst Ihnen ein Glück im Hause groß,
und Sie merken es nicht. Ja, ja, so ist es! Der
Häberle hat ein Stück Welt abgelaufen und
einen Sack voll Erfahrung von der Straße auf-
gelesen, was er sagt, ist kein Wind! Noch ein
paar Jahre, und er hat aus den Zöbelibuben
etwas gemacht, das sich vor der Welt zeigen
darf! Artisten, so wahr ich Valentin Häberle
heiße!“
„Was faseln Sie mir vor?“
Er wiederholte seine Rede.
„Geschwätz! Geflunker!“
„Nein, Wahrheit“, erwiderte der Mann mit
steinerner Ruhe. „Lassen Sie mich die Knaben
noch zwei Jahre unterweisen, so kommt Ihnen
ein ganzer goldener Reichtum ins Haus. Fünf-
zig, hundert, zweihundert Franken werde ich
mit den Buben jeden Abend verdienen …“
„Und in den eigenen Taschen versorgen!“
„Pardon, Frau Zöbeli, jedem das Seine! Ich
bin ein Ehrenmann! Was über die Auslagen
bleibt, davon mache ich zwei Häufchen, ehr-
und redlich! Dann brauchen Sie nicht mehr
bei Ihrer Putzerei zu buckeln und zu kriechen
und zu knien! Sie wohnen in einem schönen
Hause, essen jeden Tag Ihre fette Suppe und
etwas Festes dazu; Sie können Ihrem seligen
Mann einen Grabstein setzen, was Sie schon
lange wünschen …“
So redete er ihr zu und streute Rosa und
Grün über die Dinge aus. Sie schüttelte den
Kopf, aber immer schwächer, und als sie aus-
einandergingen, sagte sie weder „ja“ noch
„nein“, wie es bei unschlüssigen Leuten Brauch
ist; er aber wußte, daß die Sache zu seinen
Gunsten entschieden war und er seine Pläne
weiter verfolgen durfte.
II.
wei Jahre und einige Monate später an ei-
Z nem regnerischen Sonntagnachmittag trat
Herr Häberle in das Wohnstübchen seiner Miet-
frau und suchte ihr durch würdevolle Haltung
und einen feierlichen Gruß zu verstehen zu ge-
ben, daß er ihr etwas Wichtiges mitzuteilen
habe. Sie achtete wenig auf ihn und schob ihm
mehr mechanisch als höflich einen Stuhl zu-
recht; denn in den grauen Herbstwochen, da
sich der Todestag ihres Mannes jährte, legte
sich gerne der Trübsinn wie eine Wolke über
sie, und sie hätte dann am liebsten die Sonn-
tage durchgeweint.
„Ich bin nun so weit“, sagte Valentin Häberle
mit gewichtiger Miene.
„So?“ erwiderte sie gleichgültig und tonlos.
„Es ist eine wichtige, eine gute Nachricht,
Frau Zöbeli, Sie dürften schon darauf hören!“
sagte er recht laut, um die vor ihm brütende
Schwermut aufzuscheuchen.
Sie erhob den Kopf.
„Ich rede von Ihren Knaben, sie sind nun et-
was, brauchbar, um Geld zu verdienen; ich bin
am Ziel, an einem ersten Ziel wenigstens.“
Sie sah ihn zweifelnd an.
„Wir stehen am Anfang einer Straße, und
die Straße heißt Wohlstand, Glück!“ Er mußte
das Wort zweimal sagen.
„Das mögen Sie andern weismachen!“ ent-
gegnete sie endlich mutlos abwehrend. „Ich
bin zum Unglück geboren und in Armut muß
ich leben und sterben.“
Er aber, um sie aufzurütteln, rief: „Ehren-
wort und Ehrenmann, Frau Zöbeli! Ich halte
es allezeit mit der Wahrheit, und was ich sage,
ist verbürgt wie gesagt. Lassen Sie uns ziehn,
mich und Ihre Knaben, daß ich mein Wort be-
weise; denn wir müssen nun in Gottes Namen
in die weite Welt hinaus. Davon wollte ich mit
Ihnen reden.“
„In die weite Welt hinaus?“ Das Wort gab
der armen Frau einen Stoß, das Blut schoß ihr
nach dem Herzen. Sie streckte die Hände aus,
als wären die Knaben vor ihr, und rief: „Nein,
guter Herr! Das nicht!“ Sie sollte sich von ihnen
trennen, sie in die Fremde ziehen lassen, auf
Straßen, die sie selber nicht kannte? Sie sollte in
der einsamen Wohnung, in ihrem Kummerstüb-
chen zurückbleiben und allein an ihrem Gram
spinnen? Abends, wenn sie nach Hause kehrte,
käme ihr niemand entgegengesprungen? Stube
und Kammer, alles sollte wie ein Grab, wie eine
Kirchhofecke sein? Nein, ihr schauderte. Hätte
sie gewußt, daß die Possen zu dem Ende führten,
nie hätte sie ihre Zustimmung dazu gegeben.
Er suchte ihr begreiflich zu machen, daß,
wer den Apfel anbeißt, ihn essen muß.
„Nein, sie bleiben bei mir! Warum wollen Sie
denn in die weite Welt? Können Sie etwas mit
ihnen anfangen, so tun Sie’s in unserer Stadt,
die ist groß und weit genug,
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