Salto mortale
mehrmals übel hin-
gefallen, wenn ihn der allezeit wachsame Mei-
ster nicht aufgefangen hätte. So wurden ihm
diese Waghalsigkeiten strenge verboten, und
er mußte sich dazu bequemen, daß Franzli das,
was er am Stuhl, an der Bank, am Tische geübt,
an ihm vollführte. Wohl tat Meister Valentin
alles, um Heinz zu verhüllen, daß er zum Ge-
rät hinabgesunken war, zuweilen überkam ihn
doch das Gefühl davon, und er war dann recht
unglücklich und versprach sich: „Einen Salto
mortale wirst auch du einmal machen!“
Zu jener Zeit weilte ein Zirkus in der Stadt,
und als Frau Zöbeli einst zu einer Bestattung in
ihr Heimatdorf hatte gehen müssen, hieß Herr
Häberle seine Zöglinge die Sonntagshosen an-
ziehen und führte sie in die seltsame runde
Bretterbude. Das war ein Ereignis. Heinz saß
regungslos da und verschlang mit aufgerissenen
Augen und mit einem Gefühl der Beklemmung
all die märchenhaften Erscheinungen; denn er
verglich seine eigene Kunst damit, während
Franzli jedesmal vor Lust aufschrie, wenn eine
Reiterin, auf glänzendem Pferde stehend, her-
ein- und im Kreis herumsprengte, immer in ge-
fälliger Bewegung, und durch Ringe flog, um
gleich wieder auf dem Rücken des trabenden
Tieres zu tänzeln; oder wenn Männer ähnliche
Stücke ausführten, wie er selber sie lernte, nur
viel schwerere; oder seltsame Menschenwesen
mit aufgeblasenen Hosen, lustigen Spitzmüt-
zen und verschmierten Gesichtern ihre Purzel-
bäume schlugen und allerhand Schnurren und
Schnickschnack zum besten gaben.
Und all die Zeit spielte die Musik lustige Wei-
sen, und nach jedem Meisterstück und -sprung
erbrauste das ganze Bretterhaus von Bravo-
rufen, Händeklatschen und Fußgetrampel.
Als man in das Haus zum ‚Sack‘ zurückge-
kehrt war, versuchte Franz gleich, die tollen
Dinge, die er geschaut, nachzumachen; Heinz
dagegen, innerlich unruhig und fast unglück-
lich, setzte sich schweigsam in eine Ecke. Mei-
ster Valentin sah in ihn hinein und fuhr ihm
väterlich mit der Katzenhand durch das Haar.
Da stotterte der Junge seinen Kummer hervor:
„Muß man so viel können?“
„Ei freilich, und das werdet ihr noch lernen,
wenn ihr tut, wie ich euch heiße, und dann
wird man auch euch ‚Bravo‘ zurufen und für
euch die Hände ineinanderschlagen.“
Heinz schüttelte ungläubig und mutlos den
Kopf; Franz dagegen schlug einen Purzelbaum,
klatschte sich selber Beifall und lachte mit dem
ganzen quecksilbernen Leib.
Da wies Häberle mit sprechendem Finger
auf ihn; der Ältere verstand die Sprache und
warf ebenfalls die Füße in die Lüfte.
„So ist’s recht, Jungens! Wißt ihr, warum ich
euch in die große Bretterbude geführt habe?
Denkt euch, ihr wäret unten in dem runden
Platz, und das ganze Haus mit Menschen ge-
füllt, Musik spiele auf und man schreie euch zu
und überschütte euch mit Blumensträußen …“
Heinz fieberte bei dem Gedanken, Franz je-
doch kletterte an ihm empor, stellte sich ihm
auf die Schultern und bog sich zurück, um
kopfüber auf den Boden zu setzen.
In diesem Augenblick ging die Türe auf.
Die Mutter stand auf der Schwelle. Sie stieß
bei dem Anblick, der sich ihr bot, einen Schrei
aus, Heinz schrak zusammen, und Franz wäre
zu einem bösen Fall gekommen, hätte ihn Herr
Häberle nicht mit flinken Händen aufgefangen.
Franz lächelte der Mutter entgegen, als ob
nichts wäre, sie aber bebte an allen Gliedern
und schrie ihrem Zimmerherrn zu: „Das ist
Gott versucht!“ und dabei umfaßte sie ihren
Jüngsten mit Armen, die es zornig und lieb-
reich zugleich meinten.
Die Kinder wurden in ihre Schlafkammer
geschickt, und Frau Zöbeli stellte nun ihren
Lehrmeister zur Rede: Es sei genug des tollen
Zeugs; sie sei die Mutter der Knaben und trage
die Verantwortung für sie vor Gott und dem
toten Vater; wem würde man Vorwürfe machen
und wen mit bösen Blicken ansehen, wenn ei-
ner fiele und sich einen Arm, oder ein Bein oder
gar das Genick bräche? Sie würde so etwas
nicht verwinden, sie würde ein Loch ins Was-
ser machen! Die Buben seien jetzt groß genug,
um sich selber die Zeit zu kürzen, drum müsse
die frevelhafte Gaukelei ein Ende nehmen.
Valentin Häberle ließ sie ihren Wortschatz
ausschütten, dann sagte er ruhig:
„Ist den Knaben je etwas geschehen? Haben
sie etwas Schlimmeres abgekriegt, als etwa
eine Beule? Verlassen Sie sich auf mich, meine
werte Frau Zöbeli. Solange ich die Buben
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