Salto mortale
silber-
ne Bäche, ein ganzes Haus voll Glück und eine
ganze Welt voll Sonnenschein vor die Augen,
er zeigte ihr seine starken und doch weichen
Hände, auf denen er sie tragen, er umfing sie
mit den Augen, mit denen er sie behüten und
anbeten wollte …
Die schlichte Frau wurde gerührt, wollte es
aber nicht zeigen und bat sich Bedenkzeit aus.
Herr Häberle packte seinen Koffer wieder
aus und ertappte sich dabei, daß er pfeifelte.
Die Witwe aber lief an jenem Nachmittag zum
Grabe ihres Wilhelm, um Rat zu suchen. Es
war ein unwirscher Spätherbsttag. Der Wind
jagte das welke Laub im Kirchhof auf und nie-
der, her und hin. Die Kreuze klirrten und in
den blätterlosen Ästen der Platanen und den
schlaffen Schnüren der Trauerweiden spielte
eine traurige Vorwintermusik. Frau Seline war
ganz allein und erwartete in kindlichem Glau-
ben ein Zeichen, eine Gutheißung des uneinge-
standenermaßen schon gefaßten Entschlusses.
Der Wind schlug ihr um Wangen und Nacken
und fing sich in ihren Kleidern, sie hatte Mühe,
ihm zu widerstehen, er schien sie von dem hei-
ligen Orte wegtreiben zu wollen, sie, die Treu-
brüchige, Liebvergessene. Wenn er ihr wie mit
feuchten Schwingen ins Gesicht klatschte, war
ihr, das sei der zürnende Geist ihres Mannes,
und es fror sie bis in die Seele hinein. Die Er-
lösung kam ihr nicht; verworrener und gequäl-
ter, als sie gekommen, kehrte sie heim, um den
Kampf gegen das Gewissen und eine böse Ah-
nung weiter zu kämpfen.
Acht Tage später versprach sie Herrn Va-
lentin Häberle eheliche Treue, und nach wie-
derum einer Woche gab sie ihre Einwilligung
zu der ‚Europareise‘ ihrer Kinder. Nach zwei
Jahren, wenn sich ein klingendes Glück einge-
funden hätte, sollte Hochzeit gefeiert werden.
Nun wurden die Vorbereitungen zur Reise
betrieben, zunächst diejenigen, die nichts ko-
steten: „Wir müssen uns eine tönende Schelle
anhängen,“ erklärte der Bräutigam seiner
Braut, „will sagen, uns gangbare Namen geben.
Mit Häberle und Zöbeli ist kein Fortkommen
in unserer Welt. Ich für mein Teil bin bald be-
raten, ich lange wieder nach dem Namen, den
ich zuletzt bei meinem Wanderleben führte
und unter dem mich die Welt einst bewun-
derte. Signor Ercole, Er – co – le heiße ich von
nun an, du mußt dich daran gewöhnen, Seline.
Aber die Buben?“
Frau Seline sah die Notwendigkeit einer
Umtaufe nicht ein. Daß man mit Häberle wenig
Ehre einlegte, begriff sie wohl, aber Heinz und
Franz Zöbeli, das sei denn doch etwas anderes,
das klinge gut und so ehrbar schweizerisch; als
sie sich einst habe Frau Zöbeli nennen dürfen,
sei sie sich fast vornehm vorgekommen.
Signor Ercole bedeutete ihr, auf Ehrbarkeit
komme es da nicht an, sonst wäre auch er bei
seines Vaters Namen geblieben. Ob denn der
Haber nichts Ehrbares sei? und das Habermus
und die Habersuppe und der Häberle, der all
die guten Dinge pflanze. Nicht der Inhalt und
die Bedeutung mache es aus, sondern der Ton.
Der sei alles. „Zählt man Münzen, so achtet
man auf den Ton, spielt man Musik, so ist es
wieder der Ton; bei der Rede, in Scherz und
Ernst, bei den Manieren, überall der gute Ton,
und den muß auch der Name haben.“
So sprach er und verschwand dann in sei-
nem Zimmer, wo er alte Zirkuszettel aus sei-
ner Kiste auskramte, in der Hoffnung, darin
Erleuchtung zu finden. Und wirklich, nach ei-
nigen Stunden eifrigen Suchens und Sinnens
hatte er das Richtige gefunden. Als Arrigo
und Fresco Zobelli, fratelli, sollten die jungen
Künstler der Welt vorgestellt werden.
Es kostete der Mutter einige Mühe, die Wör-
ter tadellos auszusprechen; als sie aber soweit
war, empfand sie fast Lust, sich selber Frau
Selina Zobelli nennen zu lassen. Oh, er hatte
recht, der Ton!
Zu dem, was man nun weiter tun mußte,
war Geld vonnöten. Frau Selina händigte ih-
rem Bräutigam ohne langes Besinnen ihr Spar-
heft aus, damit er den fratelli Zobelli gefällige
Künstlerkleider herstellen lasse: ein Wäms-
chen und Kniehosen aus schwarzem Sammet,
dazu rote Strümpfe und Schnallenschuhe. Als
die Herrlichkeiten anlangten und probiert
wurden, beherbergte das Haus zum ‚Sack‘ in
der Schlauchgasse viel Freude, Eitelkeit und
Mutterstolz
Am folgenden Tage aber, dem Abschiedstage,
ging Frau Seline wie ein Schatten im Hause
um. Nirgends hatte sie Ruhe, und sprach sie,
so tönte es wie aus dem Mund einer Sterben-
den. Sie ahnte, daß sie auf einen
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