Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Bosshart
Vom Netzwerk:
silber-
    ne Bäche, ein ganzes Haus voll Glück und eine
    ganze Welt voll Sonnenschein vor die Augen,
    er zeigte ihr seine starken und doch weichen
    Hände, auf denen er sie tragen, er umfing sie
    mit den Augen, mit denen er sie behüten und
    anbeten wollte …
    Die schlichte Frau wurde gerührt, wollte es
    aber nicht zeigen und bat sich Bedenkzeit aus.
    Herr Häberle packte seinen Koffer wieder
    aus und ertappte sich dabei, daß er pfeifelte.
    Die Witwe aber lief an jenem Nachmittag zum
    Grabe ihres Wilhelm, um Rat zu suchen. Es
    war ein unwirscher Spätherbsttag. Der Wind
    jagte das welke Laub im Kirchhof auf und nie-
    der, her und hin. Die Kreuze klirrten und in
    den blätterlosen Ästen der Platanen und den
    schlaffen Schnüren der Trauerweiden spielte
    eine traurige Vorwintermusik. Frau Seline war
    ganz allein und erwartete in kindlichem Glau-
    ben ein Zeichen, eine Gutheißung des uneinge-
    standenermaßen schon gefaßten Entschlusses.
    Der Wind schlug ihr um Wangen und Nacken
    und fing sich in ihren Kleidern, sie hatte Mühe,
    ihm zu widerstehen, er schien sie von dem hei-
    ligen Orte wegtreiben zu wollen, sie, die Treu-
    brüchige, Liebvergessene. Wenn er ihr wie mit
    feuchten Schwingen ins Gesicht klatschte, war
    ihr, das sei der zürnende Geist ihres Mannes,
    und es fror sie bis in die Seele hinein. Die Er-
    lösung kam ihr nicht; verworrener und gequäl-
    ter, als sie gekommen, kehrte sie heim, um den
    Kampf gegen das Gewissen und eine böse Ah-
    nung weiter zu kämpfen.
    Acht Tage später versprach sie Herrn Va-
    lentin Häberle eheliche Treue, und nach wie-
    derum einer Woche gab sie ihre Einwilligung
    zu der ‚Europareise‘ ihrer Kinder. Nach zwei
    Jahren, wenn sich ein klingendes Glück einge-
    funden hätte, sollte Hochzeit gefeiert werden.
    Nun wurden die Vorbereitungen zur Reise
    betrieben, zunächst diejenigen, die nichts ko-
    steten: „Wir müssen uns eine tönende Schelle
    anhängen,“ erklärte der Bräutigam seiner
    Braut, „will sagen, uns gangbare Namen geben.
    Mit Häberle und Zöbeli ist kein Fortkommen
    in unserer Welt. Ich für mein Teil bin bald be-
    raten, ich lange wieder nach dem Namen, den
    ich zuletzt bei meinem Wanderleben führte
    und unter dem mich die Welt einst bewun-
    derte. Signor Ercole, Er – co – le heiße ich von
    nun an, du mußt dich daran gewöhnen, Seline.
    Aber die Buben?“
    Frau Seline sah die Notwendigkeit einer
    Umtaufe nicht ein. Daß man mit Häberle wenig
    Ehre einlegte, begriff sie wohl, aber Heinz und
    Franz Zöbeli, das sei denn doch etwas anderes,
    das klinge gut und so ehrbar schweizerisch; als
    sie sich einst habe Frau Zöbeli nennen dürfen,
    sei sie sich fast vornehm vorgekommen.
    Signor Ercole bedeutete ihr, auf Ehrbarkeit
    komme es da nicht an, sonst wäre auch er bei
    seines Vaters Namen geblieben. Ob denn der
    Haber nichts Ehrbares sei? und das Habermus
    und die Habersuppe und der Häberle, der all
    die guten Dinge pflanze. Nicht der Inhalt und
    die Bedeutung mache es aus, sondern der Ton.
    Der sei alles. „Zählt man Münzen, so achtet
    man auf den Ton, spielt man Musik, so ist es
    wieder der Ton; bei der Rede, in Scherz und
    Ernst, bei den Manieren, überall der gute Ton,
    und den muß auch der Name haben.“
    So sprach er und verschwand dann in sei-
    nem Zimmer, wo er alte Zirkuszettel aus sei-
    ner Kiste auskramte, in der Hoffnung, darin
    Erleuchtung zu finden. Und wirklich, nach ei-
    nigen Stunden eifrigen Suchens und Sinnens
    hatte er das Richtige gefunden. Als Arrigo
    und Fresco Zobelli, fratelli, sollten die jungen
    Künstler der Welt vorgestellt werden.
    Es kostete der Mutter einige Mühe, die Wör-
    ter tadellos auszusprechen; als sie aber soweit
    war, empfand sie fast Lust, sich selber Frau
    Selina Zobelli nennen zu lassen. Oh, er hatte
    recht, der Ton!
    Zu dem, was man nun weiter tun mußte,
    war Geld vonnöten. Frau Selina händigte ih-
    rem Bräutigam ohne langes Besinnen ihr Spar-
    heft aus, damit er den fratelli Zobelli gefällige
    Künstlerkleider herstellen lasse: ein Wäms-
    chen und Kniehosen aus schwarzem Sammet,
    dazu rote Strümpfe und Schnallenschuhe. Als
    die Herrlichkeiten anlangten und probiert
    wurden, beherbergte das Haus zum ‚Sack‘ in
    der Schlauchgasse viel Freude, Eitelkeit und
    Mutterstolz
    Am folgenden Tage aber, dem Abschiedstage,
    ging Frau Seline wie ein Schatten im Hause
    um. Nirgends hatte sie Ruhe, und sprach sie,
    so tönte es wie aus dem Mund einer Sterben-
    den. Sie ahnte, daß sie auf einen

Weitere Kostenlose Bücher