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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Bosshart
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sich die Nägel schüchtern ins
    Holz verkrochen, die lustige Arbeit eines Boh-
    rers, der vergnüglich seine Späne ausspie und
    endlich auf der entgegengesetzten Seite seinen
    Kopf herausstreckte wie ein Holzwurm …
    Manchmal wurde auch ein langer schmaler
    Schrein zusammengeklopft, oben mit einem
    Schiebfensterchen versehen und schwarz an-
    gestrichen. „Soll ich dir den Frack anziehen?“
    schrie dann wohl Meister Wäspi, der wie seine
    Hämmer das Poltern liebte, einen der klei-
    nen Guckhälse an und jagte damit das ganze
    Trüppchen Neugier in Entsetzen und Flucht.
    Das Pflaster des ‚Sacks‘ mußte für den Scherz
    büßen: sie rissen, um die Ruhe wiederzufinden,
    ein paar Steine heraus, kugelten sie eine Zeit-
    lang hin und her und setzten sie endlich wieder
    versöhnlich in die angestammten Löcher.
    Dann trieb sie die Neugier an das Ende des
    ‚Sackes‘, dorthin wo er seinen Schlund nach
    der Schlauchgasse aufsperrte. Sie schmiegten
    sich an eine Ecke, Heinz faßte den Kleinen bei
    der Hand und hielt den Vorwärtsdrängenden
    in dem engen Kreis zurück, den zwei ausge-
    streckte Kinderarme beschreiben können. So
    hatte es ihm die Mutter streng eingeschärft,
    und er sprang nie über seine Pflicht hinweg.
    Im ‚Sack‘, so sagte sich die Frau, kann man die
    Unbände gehen und stehen, liegen und sich
    wälzen lassen, wie es ihnen bequem ist, da
    kommt kein Fuhrwerk herein, um sie in Le-
    bensgefahr zu bringen.
    In der Gasse war es anders. Da knarrte und
    ächzte von Zeit zu Zeit ein schwerer Wagen her-
    ein und füllte den Raum zwischen den beiden
    Häuserreihen ganz aus. Bierwagen, Kohlenfuh-
    ren, Botenfuhrwerke. Das waren bedrohliche
    Ungetüme, die keinen Spaß verstanden. Und
    erst die Pferde davor mit den langen gelben
    Zähnen, die ins Eisen bissen, wie die Zöbeli-
    buben ins Brot, mit den schweren Stahlhufen,
    denen es ein leichtes war, Feuer aus den Pfla-
    stersteinen zu kratzen.
    Eine Zeitlang bot das Leben im ‚Sack‘ den
    Knaben völliges Genügen; nach und nach aber
    beschlich sie eine Art Sehnsucht, das Gefühl
    von der Enge und Beschränktheit ihrer Welt.
    Wenn sie an ihrer Ecke standen und die
    Schlauchgasse hinabschauten, gewahrten sie
    ein Stück von einem Platze, auf dem es rege
    und brausend zuging. Da fuhren schwarze
    glänzende Kutschen vorüber wie vom Wind ge-
    blasen! Radfahrer flogen gleich großen Vögeln
    her und hin, Autos blitzten auf und prusteten
    vorüber, und die Leute hasteten und brodelten
    zu gewissen Stunden wie toll durcheinander.
    Herüber aber tönte es dumpf und verworren,
    pochend und schreiend, rauschend und don-
    nernd und wiederum schwatzend, ja flüsternd
    und singend, rufend und lockend, als ob dort
    alle Pflastersteine lebendig geworden wären.
    Wie vielerlei mußte dort zu schauen sein! Flo-
    gen dann die Tauben in der Schlauchgasse auf
    und dem Platze zu, so sahen ihnen die Knaben
    verlangend nach, und es drängte in ihnen der-
    maßen, daß es dem Großen schwer fiel, Franzli
    in seinem engen Kreise zu halten. Dazu kam,
    daß die andern Kinder, die sich nicht in einen
    Sack stecken ließen, anfingen, sie zu locken
    und, da die Versuchung abprallte, zu necken
    und zu höhnen.
    „Eckensteher! Augendreher!“ riefen sie ihnen
    spöttisch zu und klapperten auf dem Pflaster
    davon, die Schuhe in alle Lüfte werfend, Kopf
    und Hände nach vorn gestreckt, nach dem Platze
    hin, nach dem Geruf und Getose und Leben.
    „Komm! Auch gehn!“ drängelte dann wohl
    der kleine Franz; aber Heinz faßte ihn fester an
    der Hand und zog ihn väterlich in den ‚Sack‘
    und in den Gehorsam zurück.
    Einmal aber, als Heinz einem Tischlergesel-
    len zusah, wie er zwei Bretter zusammenfügte
    und so derb in die Schrauben spannte, daß der
    Leim aus der Fuge schwitzte, gewahrte er auf
    einmal zu seinem Schrecken, daß Franzli nicht
    mehr um ihn war. Er eilte in die Gasse hin-
    aus. Keine Spur! So mußte er in die Wohnung
    hinaufgekrochen sein. Aber auch dort fand er
    sich nicht, und Herr Häberle, der in seinem
    Stübchen hockte, versicherte, es habe seit zwei
    Stunden im Hause keine Fliege gesummt.
    Heinz stürzte wieder davon. Es war ihm ein
    Gedanke gekommen: der Platz! Dorthin eilte
    auch er nun, blind und besinnungslos, wie ei-
    nen die Aufregung machen kann. Kaum hatte
    er ihn betreten, so rannte er einen Metzgerbur-
    schen an, der, den Weidenkorb auf dem Rük-
    ken, breit und gewichtig einherkam, und von
    dessen Knien der Kleine abspritzte, wie ein

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