Salto mortale
sich die Nägel schüchtern ins
Holz verkrochen, die lustige Arbeit eines Boh-
rers, der vergnüglich seine Späne ausspie und
endlich auf der entgegengesetzten Seite seinen
Kopf herausstreckte wie ein Holzwurm …
Manchmal wurde auch ein langer schmaler
Schrein zusammengeklopft, oben mit einem
Schiebfensterchen versehen und schwarz an-
gestrichen. „Soll ich dir den Frack anziehen?“
schrie dann wohl Meister Wäspi, der wie seine
Hämmer das Poltern liebte, einen der klei-
nen Guckhälse an und jagte damit das ganze
Trüppchen Neugier in Entsetzen und Flucht.
Das Pflaster des ‚Sacks‘ mußte für den Scherz
büßen: sie rissen, um die Ruhe wiederzufinden,
ein paar Steine heraus, kugelten sie eine Zeit-
lang hin und her und setzten sie endlich wieder
versöhnlich in die angestammten Löcher.
Dann trieb sie die Neugier an das Ende des
‚Sackes‘, dorthin wo er seinen Schlund nach
der Schlauchgasse aufsperrte. Sie schmiegten
sich an eine Ecke, Heinz faßte den Kleinen bei
der Hand und hielt den Vorwärtsdrängenden
in dem engen Kreis zurück, den zwei ausge-
streckte Kinderarme beschreiben können. So
hatte es ihm die Mutter streng eingeschärft,
und er sprang nie über seine Pflicht hinweg.
Im ‚Sack‘, so sagte sich die Frau, kann man die
Unbände gehen und stehen, liegen und sich
wälzen lassen, wie es ihnen bequem ist, da
kommt kein Fuhrwerk herein, um sie in Le-
bensgefahr zu bringen.
In der Gasse war es anders. Da knarrte und
ächzte von Zeit zu Zeit ein schwerer Wagen her-
ein und füllte den Raum zwischen den beiden
Häuserreihen ganz aus. Bierwagen, Kohlenfuh-
ren, Botenfuhrwerke. Das waren bedrohliche
Ungetüme, die keinen Spaß verstanden. Und
erst die Pferde davor mit den langen gelben
Zähnen, die ins Eisen bissen, wie die Zöbeli-
buben ins Brot, mit den schweren Stahlhufen,
denen es ein leichtes war, Feuer aus den Pfla-
stersteinen zu kratzen.
Eine Zeitlang bot das Leben im ‚Sack‘ den
Knaben völliges Genügen; nach und nach aber
beschlich sie eine Art Sehnsucht, das Gefühl
von der Enge und Beschränktheit ihrer Welt.
Wenn sie an ihrer Ecke standen und die
Schlauchgasse hinabschauten, gewahrten sie
ein Stück von einem Platze, auf dem es rege
und brausend zuging. Da fuhren schwarze
glänzende Kutschen vorüber wie vom Wind ge-
blasen! Radfahrer flogen gleich großen Vögeln
her und hin, Autos blitzten auf und prusteten
vorüber, und die Leute hasteten und brodelten
zu gewissen Stunden wie toll durcheinander.
Herüber aber tönte es dumpf und verworren,
pochend und schreiend, rauschend und don-
nernd und wiederum schwatzend, ja flüsternd
und singend, rufend und lockend, als ob dort
alle Pflastersteine lebendig geworden wären.
Wie vielerlei mußte dort zu schauen sein! Flo-
gen dann die Tauben in der Schlauchgasse auf
und dem Platze zu, so sahen ihnen die Knaben
verlangend nach, und es drängte in ihnen der-
maßen, daß es dem Großen schwer fiel, Franzli
in seinem engen Kreise zu halten. Dazu kam,
daß die andern Kinder, die sich nicht in einen
Sack stecken ließen, anfingen, sie zu locken
und, da die Versuchung abprallte, zu necken
und zu höhnen.
„Eckensteher! Augendreher!“ riefen sie ihnen
spöttisch zu und klapperten auf dem Pflaster
davon, die Schuhe in alle Lüfte werfend, Kopf
und Hände nach vorn gestreckt, nach dem Platze
hin, nach dem Geruf und Getose und Leben.
„Komm! Auch gehn!“ drängelte dann wohl
der kleine Franz; aber Heinz faßte ihn fester an
der Hand und zog ihn väterlich in den ‚Sack‘
und in den Gehorsam zurück.
Einmal aber, als Heinz einem Tischlergesel-
len zusah, wie er zwei Bretter zusammenfügte
und so derb in die Schrauben spannte, daß der
Leim aus der Fuge schwitzte, gewahrte er auf
einmal zu seinem Schrecken, daß Franzli nicht
mehr um ihn war. Er eilte in die Gasse hin-
aus. Keine Spur! So mußte er in die Wohnung
hinaufgekrochen sein. Aber auch dort fand er
sich nicht, und Herr Häberle, der in seinem
Stübchen hockte, versicherte, es habe seit zwei
Stunden im Hause keine Fliege gesummt.
Heinz stürzte wieder davon. Es war ihm ein
Gedanke gekommen: der Platz! Dorthin eilte
auch er nun, blind und besinnungslos, wie ei-
nen die Aufregung machen kann. Kaum hatte
er ihn betreten, so rannte er einen Metzgerbur-
schen an, der, den Weidenkorb auf dem Rük-
ken, breit und gewichtig einherkam, und von
dessen Knien der Kleine abspritzte, wie ein
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