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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Bosshart
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sonst wohl aus den armen Ratten
    werden?“
    Und wieder sann er vor sich hin. Was war
    denn aus ihm selber geworden? Er sah sich
    deutlich vor sich wie in einem Spiegel: fünfzig
    Jahre und mehr schien er zu tragen und zählte
    doch kaum vierzig. Oh, das Nerven fressende,
    Menschen verbrauchende Gewerbe, das aufrei-
    bende ruhlose Wanderleben, ohne dauernde
    Befriedigung, im besten Falle ein Taumel, ein
    glücklicher Rausch zwischen zwei Enttäu-
    schungen! Durfte er das fremde Fleisch den
    schweren Weg führen oder hetzen, den er sel-
    ber gegangen?
    Mit einem entschlossenen: „Warum nicht?“
    räumte er die Zweifel aus dem Wege. Die ar-
    men Schlucker hatten, alles abgewogen, ihm
    schließlich noch zu danken! Hatte er nicht die
    nötige Erfahrung, um das Unternehmen zum
    guten Ende zu führen? War er ein Trinker und
    Prasser? War er sein Vater?
    Valentin Häberle erhob sich, reckte die
    Glieder, probierte, wie fest die Fäuste sich
    zusammenschlossen, und fühlte in sich eine
    unendliche Kraft, ein Stück Wohlfahrt zu er-
    ringen. Immer sicherer wurde er seiner Sache,
    immer leiser protestierte das Gewissen in sei-
    ner Brust und bald ging es mit vollen Segeln in
    die Zukunft. Er hatte seine Kunst unter Prü-
    geln gelernt und sie deshalb immer säuerlich
    gefunden; seinen Schülern sollte sie ein be-
    ständiges Fest sein. Und waren sie einmal zum
    Geldverdienen etwas nütze, so wollte er zu ih-
    nen Sorge tragen wie zu seinen Augen. Redlich
    wollte er es mit ihnen meinen, ihnen eine gute
    Vorsehung sein, und schon kam über ihn jenes
    süße Gefühl, das Helfer, Wohltäter, Glückspen-
    der beseelt. Und doch gehörte er nicht zu den
    Empfindsamen und Weichherzigen.
    Am folgenden Tage wurden die Übungen
    wieder aufgenommen. Valentin Häberle wurde
    fast jung mit den Kleinen, tat wie sie und ver-
    setzte sie in Entzücken. Die Stunden vergingen
    dem Alten und den Jungen wie vom Wind weg-
    geblasen. Wer nach Glück jagt, wird leicht ein
    Hexenmeister.
    Als die Ermüdung über die Bübchen kam,
    zog der Lehrmeister Wurst und Weißbrot aus
    seiner Schublade, die stets so wunderlich roch,
    und schnitt jedem etwas zurecht. Das tat er
    nicht aus löblicher Freigebigkeit: „Sollen sie
    mir zum Vorteil ausschlagen, so müssen sie
    mit Kraft gestopft werden, mit Wassersuppe
    und Kaffee im Magen kann keiner das Glück
    erspringen“, sagte er sich. Ihre Muskeln mußten
    wie Stricke, ihre Gelenke wie Stahl werden und
    sollte er selber mit knurrendem Leib umherlau-
    fen müssen. Er konnte es ja später nachholen.
    Die Aussicht auf Vesperbrot und Wurst
    machte den Knaben das lustige Spiel, als das
    sie ihre Übungen auffaßten, noch lieber und
    spaßhafter, sie wurden nach und nach von einer
    wahren Leidenschaft gepackt; denn sie hatten
    es bald weg, daß Meister Häberles Messer um
    so tiefer in die Wurst schnitt, je mehr sie sich
    angestrengt hatten.
    Bald waren sie in ihrer Kunst so weit geför-
    dert, daß sie eines Abends der heimkehrenden
    Mutter auf den Händen entgegentappten und
    ihr den rechten Fuß zum Gruß hinstrecken
    konnten. Sie hatten den Scherz schon lange vor-
    her heimlich verabredet, aber freilich die Wir-
    kung nicht vorausgesehen. Die Mutter brachte
    sie mit ein paar barschen Worten auf die Füße
    und griff hastig nach ihren Handgelenken, wo-
    bei sie den etwas verblüfften Meister Valentin
    anschrie: „Sie haben ihnen die Gelenke gebro-
    chen, Sie, Sie!“
    Er begriff ihren Gedankengang und suchte
    sie zu beruhigen, indem er ihr an seinen ei-
    genen Gliedmaßen umständlich veranschau-
    lichte, daß, wer auf den Händen gehen wolle,
    keine gebrochenen Gelenke haben dürfe, daß
    ihre Ansicht auf unvernünftigem Volksglauben
    beruhe. Ob ihr denn noch nicht aufgefallen sei,
    daß ihre Buben mit röteren Backen als sonst
    umherliefen, Arme hätten wie Sennenbuben
    und sich streckten wie Roggenhalme?
    „Nun will er gar noch an ihrer Gesundheit
    schuld sein!“ dachte Frau Seline und erwi-
    derte: „Wachsen werden sie wohl müssen, ob
    sie wollen oder nicht!“
    „Mit Unterschied“, meinte er und gab dem
    Gespräch eine andere Wendung: „Wenn Sie
    wünschen, daß ich Ihre Buben hüte, so müs-
    sen Sie mir schon gestatten, die Langeweile auf
    meine Weise zum Kuckuck zu jagen.“
    Er sprach es in einem Tone, der von ei-
    ner Drohung nicht sehr verschieden war; das
    machte mit einem Schlage aus der gereizten
    Frau Seline die mutlose, sich vor jedem Wind-
    stoß ängstlich duckende Witwe Zöbeli.

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