Salto mortale
hell wie am
lichten Tage, so strahlend war das Gold. Die
Mutter, die in ihrem grauen Kleid traurig auf
der Bank saß, denn sie meinte, die Buben seien
ihr verloren gegangen, lächelte den beiden
zu, kniete auf den Boden nieder und vergrub
die Hände und die Arme in dem funkelnden
Goldberg.“
So etwa erzählte Meister Häberle, und fast
auf jedem Spaziergange tauchte der mit Gold
gefüllte Korb irgendwo auf: kam ein Fleischer-
oder Bäckerbursche einher, so suchten die
Knaben mit glänzenden Augen zu erspähen,
womit sein Korb gefüllt sein möchte, und ge-
lang es den offenen Augen nicht, das Geheim-
nis zu schauen, so geriet es den geschlossenen
im Traum.
Pflanzte Herr Häberle den Knaben so den
nötigen Abenteuergeist ein, so suchte er ihnen
auch sonst beizubringen, was sich ihm selber
auf seinen Wanderfahrten als vorteilhaft erwie-
sen hatte, so einige französische Brocken und
die Kunst, Knickse und Kratzfüße zu machen
und verbindlich zu lächeln.
All das geschah in der Weise des Spiels, als
Zeitvertreib, und die Knaben fanden es unsäg-
lich lustig, wenn sie zu der Mutter sagen konn-
ten: „Du pain, s’il vous plaît!“ und sie mit dem
fremden Gegacker nichts anzufangen wußte
und ein verlegenes Gesicht machte. Sie ließ
sich indessen gerne etwas hänseln, sie freute
sich über die Gelehrsamkeit, die ihren armen
Bübchen anflog, und freute sich noch mehr
über ihr Gedeihen, denn von Woche zu Woche
wurden sie kräftiger und ihre Backen voller.
„Sie sind ein gutes Kindermädchen“, sagte
sie einst zu ihrem Zimmerherrn; und er erwi-
derte wohlgelaunt und die Hände wie Flügel in
den Lüften schwingend, als wollte er auf und
davon: „Sie sollen noch Wunder erleben, Frau
Zöbeli!“
Der Mann spannte seine Hoffnungen schon
über alle Baumwipfel und Kirchtürme, er
glaubte am Horizonte das Ende seiner schlech-
ten, das Morgenrot seiner guten Tage zu er-
blicken. Denn seine Schüler waren für seine
Zwecke viel geeigneter, als er anfangs geträumt
hatte. Besonders Franzli. Der war geschmeidig
wie eine Haselrute, von quecksilberner Beweg-
lichkeit, und immer lustig und leichtsinnig. Va-
lentin Häberle war kein Gefühlsmensch, aber
für dieses Ouecksilber schlug sein Herz wie
das eines Vaters. Mußte der Kleine etwas un-
ternehmen, bei dem es eine Beule oder etwas
noch Schlimmeres absetzen konnte, so wagte
der alte Kerl kaum zu atmen, bis die Gefahr
vorüber war. Und sie zog stets vorbei, sie schien
das waghalsige kleine Menschenkind ganz zu
übersehen.
Sein älterer Bruder hielt anfangs mit ihm
wacker Schritt, aber alles fiel ihm schwerer
und mußte erarbeitet und erschwitzt werden,
während dem Kleinen das Schwierigste zum
Spiel wurde.
Heinz hatte eben schleichenderes Blut in
den Adern und bequemeres Fleisch, dafür einen
stärkern Willen als der Kleine. Hätte der sich so
abrackern müssen, die Wurstzipfel und Fünfer
und Märchen hätten ihren Zauber bald einge-
büßt. Bei Heinz waren es nach einiger Zeit nicht
mehr die Leckerbissen, die ihm den Eifer wach
hielten, es war etwas Stacheliges, das in seiner
Brust wühlte und ihn zwickte und in Atem
hielt: der Ehrgeiz. Der Keim dazu war ihm an-
geboren, Meister Valentin zog ihn groß. Wenn
er mit seinen tiefliegenden, lauernden Augen
den etwas schwerfälligen Knaben musterte, er-
innerte er sich an seine eigenen Lehrjahre und
an die Erziehungsgrundsätze seines Vaters.
„Bei Künstlern“, pflegte der abgedankte Turn-
und Tanzlehrer in der Weinlaune großtuerisch
zu sagen, „ist der Ehrgeiz alles. Die Bibel be-
richtet, der Glaube könne Berge versetzen! Was
der Glaube für die Religion, das ist der Ehrgeiz
für die Kunst. Er ist der Vater alles Könnens
und jeglicher Tüchtigkeit. Er lehrt Hunger und
Durst und was es sonst an Notlagen gibt, gedul-
dig ertragen; er überwindet die Trägheit, die in
allem Fleische steckt, er vertreibt die Mutlosig-
keit, er lehrt über den eigenen Schatten sprin-
gen und reißt das Tor zur Unsterblichkeit auf.“
Hielt man ihm entgegen, eine solche Erzie-
hungsmethode verderbe den Charakter, ma-
che den Menschen selbstsüchtig, brutal, lenke
seine Blicke auf das Äußere statt auf das ei-
gentliche Wesen der Dinge, könne nur Schein-
tüchtigkeit oder jene Künstlerschaft erzeugen,
die für Seiltänzer und Athleten erstrebenswert
sei, so schlug er mit der derben Turnerfaust auf
den Tisch und rief: „Papperlapapp! Kunst
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