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Salto mortale

Salto mortale

Titel: Salto mortale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Bosshart
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ist
    Kunst, und Mensch ist Mensch! Lehrt mich
    diese Dinge kennen! Seht meine drei Buben
    an! Zu Raupen sind sie geboren, zu Kriechern,
    aber ich habe Flugkäfer und Sommervögel aus
    ihnen gemacht. Und wie? Indem ich ihr Fleisch
    mit dem Ehrgeiz peitschte.“
    Valentin Häberle war mit den Meinungen
    seines seligen Vaters meistens nicht einverstan-
    den, in diesem Punkte jedoch pflichtete er ihm
    bei: träges Fleisch muß gezwickt und gezwackt
    werden, beim einen mit dem, beim andern mit
    jenem, bei Heinz Zöbeli mit dem Ehrgeiz. Und
    er peitschte ihn damit, bis es zuviel war. Wollte
    der gute Junge erlahmen und den Wettkampf
    mit dem jüngern Bruder aufgeben, so schoß
    der Meister ein wohlgezieltes spitzes Wort
    nach ihm ab, doch so, daß es weniger verletzte
    als ermunterte und das Selbstvertrauen hob.
    Machte Heinz bei seinen Übungen ein Ge-
    sicht, auf dem die Anstrengung zu lesen war,
    so brauchte der schlaue Fuchs nur zu sagen:
    „Aber, Heinz, du schaust ja drein wie Winter-
    wetter! Guck einmal, wie Franzle bei dem Ding
    lächelt, und doch ist er nicht halb so stark wie
    du!“ und der gute Junge lächelte auch.
    Und wenn ihm etwa vor Ermüdung die
    Glieder leicht bebten und der Meister ihm zu-
    rief: „Denk’, es sei ein ganzer Saal voll Leute da
    und die sehen dich zittern wie eine Maus vor
    der Katze!“, strafften sich gleich die Muskeln
    wieder.
    In einem passenden Augenblick fragte Heinz
    dann: „Ist es wahr, daß ich einmal vielen, vie-
    len Leuten etwas vormachen soll?“
    „Vielleicht, wenn du recht viel gelernt hast.
    Und dann finden wir zusammen auch den
    Baum mit dem goldenen Laub, und du wirst
    den hohen Sprung tun! Aber schwatze der Mut-
    ter nichts davon, beileibe nicht! Verstehst du?“
    Heinz nickte, und von da an sah er, wenn er
    seine Kunststücke übte, immer die Stube mit
    Leuten gefüllt, die lauerten, ob er zittere oder
    festhalte.
    Indessen kam doch nach etwa zwei Jahren
    der Tag, da er sich nicht mehr darüber täuschen
    konnte, daß sein Bruder ihm voraus war. Es
    war eine bittere Erkenntnis, und zum ersten-
    mal empfand er Neid gegen Franz, nur ein paar
    kurze, kneifende Augenblicke lang. Denn wie
    hätte er auf den lieben Kleinen lange böse sein
    können?
    Die Tränen schlichen ihm, wie sehr er sich
    sträubte, aus den Augen, und als Meister Va-
    lentin ihn erstaunt ansah, schluchzte er: „Das
    kommt davon, daß ich nun schon lange zur
    Schule muß, einen Tag wie den andern.“
    Valentin begriff und beschwichtigte ihn: „Ja,
    freilich, ist die Schule daran schuld. Der Kleine
    hat’s gut, der braucht an nichts als an seine
    Faxen zu denken, aber du mit dem lumpigen
    Schulkram!“
    Das Wort tat dem Knaben wohl, der Fuchs
    aber freute sich, daß er ihn so fest in den Kral-
    len hielt.
    Wie manche Träne zerdrückte Heinz, wenn
    er sich zur Schule rüstete. Wie haßte er das
    große langweilige Haus mit den frostigen Rei-
    hen tintenklecksiger Bänke und den schwarzen
    Wandtafeln, an denen er sich erbauen sollte. Er
    war nur selten mit dem Geist in der Schule, er
    träumte von Herrn Häberles Stübchen, sah
    sich auf den Händen, auf dem Kopfe, in allen
    möglichen Stellungen, mit dem Kleinen um
    das Lob des Lehrmeisters wetteifernd. Kam er
    nach Hause, so verschlang er rasch das Vesper-
    brot, das man ihm zurechtgeschnitten, und
    mühte sich dann ab, bis er mit seinen Kräften
    am Rande war.
    Meister Häberle schürte den flackernden Ei-
    fer und ließ den Knaben nie zur Ruhe kommen.
    Freilich mußte er auf ein Mittel sinnen, die Ent-
    mutigung von ihm fernzuhalten. Und er fand
    es: die Aufgaben der beiden Brüder mußten ge-
    trennt werden. Heinz war kräftig gebaut, hatte
    einen starken Nacken und sichere Gelenke, er
    sollte das Gerät abgeben, an welchem die flinke
    Eichkatze Franz ihre halsbrecherischen Stücke
    machte. Denn waghalsig war der Kleine. Schon
    machte er von einem Stuhl herab seinen Salto
    mortale, und es war reizend und beängstigend
    zugleich, ihm zuzusehen. Lächelnd stand er
    da, beugte den Rumpf langsam rückwärts, bis
    der Kopf sich tief in den Nacken senkte und er
    über den Rücken hinunter den Boden erblickte.
    Dann: hupp! überschlug er die Beine und stand
    auf dem Boden, lächelnd wie er auf dem Stuhle
    gestanden, und Meister Häberle schlug in die
    Hände und rief: „Bravo, bravissimo!“
    Heinz suchte ihm das Wagnis nachzuma-
    chen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Es
    fehlte ihm an Biegsamkeit und wohl auch an
    Selbstvertrauen; er wäre

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