Salve Papa
herkömmlichen Mitteln aufzuklären, nahm Sebastians Plastikbogen und setzte ihm einen Apfel auf den Kopf. Unser pädagogischer Ausflug in die Schweizer Geschichte endete damit, dass der Apfel unter das Hotelbett rollte. Stattdessen schoss ich dann auf eine Banane, das war aber nicht mehr so spannend. Die Kinder fanden Wilhelm Tell trotzdem super und fragten mich anschließend, was denn ein Bankgeheimnis sei. Auch das hätte ich ihnen sofort erklären können, nur leider war unser Hotelobst alle. Also zogen wir uns dem heißen Wetter entsprechend an und gingen in Niederdorf spazieren. Wir hatten uns gleich für den ersten Tag ein anstrengendes Programm vorgenommen.
Am Bürkliplatz schifften wir uns ein und absolvierten zusammen mit einer freundlichen japanischen Reisegruppe eine Rundfahrt auf dem Zürichsee. Anschließend sonnten wir uns in Zürich Enge im Park und badeten dann mit den Schwänen zusammen, die wegen der Hitze alle mit dem Hintern nach oben im Wasser steckten und von den Kindern anfänglich für Bojen gehalten wurden. Die Schweizer im Park aßen ihre mitgebrachten Bio-Salate aus Plastikbechern und sahen dabei sehr gesund aus. Der einzige Übergewichtige – neben uns – entpuppte sich als Russe.
Meine Kinder kamen mit seinem Sohn ins Gespräch, der etwa in ihrem Alter war. Die Jungs tauschten Informationen über ihre Spielgewohnheiten aus. Sebastian erzählte dem Moskowiter, dass er aus Deutschland komme und zu Hause einen Gameboy habe, mit dem man permanent auf Monster schießen müsse. Der Junge bemerkte dazu, er komme aus Russland und habe zu Hause auch einen Gameboy. Auf seinem müsse man jedoch nicht auf Monster, sondern auf Deutsche schießen. Das sei aber ein großes Geheimnis, das Sebastian niemandem verraten dürfe, verriet uns Sebastian anschließend.
Am nächsten Tag fuhren wir in den Zürcher Zoo und besuchten dort die neue Regenwaldhalle. Anschließend drehten wir ein paar Runden über den Dächern der Stadt im Teufelsrad, das von drei jungen Albanern in Bewegung gehalten wurde. Wir probierten im Zentrum nacheinander alle Eissorten, die Zürich im Sommer zu bieten hat, und besuchten dann ein halbes Dutzend Restaurants mit einheimischer Küche.
Die Bewertung der Stadt durch die Kinder fiel eindeutig positiv aus. Sie fanden die Schweiz super, die Schwäne niedlich, außer einem, der Sebastian in den Finger gebissen hatte; die Menschen freundlich, außer einer Oma auf dem Schiff, die uns angeschrien hatte, sie hätte von uns Russen die Nase endgültig voll, nachdem Nicole ihr auf den Fuß getreten war; das Eis sehr lecker, außer Zitrone; die Rivella-Limonade ebenfalls, außer der blauen; alle Geldscheine bunt und lustig – und ganz schnell alle. Am besten gefielen ihnen in Zürich die Pinguine, die Krokodile, die Schlangen, Wilhelm Tell und der Hund im Park, der uns eine gute Stunde begleitete und auf jeden Namen hörte.
Wir verließen die Schweiz also mit einem guten Gefühl. Ob inner- oder außerhalb der EU, sie wird es schon richten. Unser Erwachsenen-Fazit: Von allen Ländern der Welt muss man sich um sie am wenigsten Sorgen machen.
Ehrliche Kinderaugen
Draußen im Hinterhaus ging plötzlich das Licht auf dem Balkon im dritten Stock an. Das kleine Kind stand auf dem beleuchteten Balkon und warf kleine Papierstückchen nach unten. Eigentlich nichts Ungewöhnliches, wenn es nicht gerade zwei Uhr nachts gewesen wäre. Der selbstsichere Junge schien keine Angst vor der Dunkelheit zu haben, er trieb sein Nachtspiel, während seine Eltern wahrscheinlich schliefen. Ich machte ihn auf mich aufmerksam und zeigte ihm die Faust. Er lächelte nur milde. Ein aufgeklärtes, durch nichts zu erschreckendes Kind mit zugekniffenen Augen und einer klaren Haltung, die man selbst in der Erwachsenenwelt nur selten findet. Diese Haltung sagte: »Du kannst mich mal«. Ich gab auf, vor allem wegen dieses Blicks. Als Papa mit zwölfjähriger Erfahrung habe ich inzwischen gelernt, zwei Arten von Kinderaugen zu unterscheiden. Die Kinder, denen viel erlaubt wird, schauen anders auf die Welt als ihre Altersgenossen, die unter der schweren Last der Erziehungsmaßnahmen ihrer Eltern leben müssen. Die aufgeklärten Kinder, die spät ins Bett gehen, im Kühlschrank wühlen und Men in Black schon mit sechs sehen dürfen, kneifen die Augen gerne zu. Die pädagogisch präparierten Kinder gucken dagegen mit großen runden Augen auf die Welt. Wenn sie etwas Unerlaubtes sehen, werden ihre Augen noch größer. Ich
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