Salve Papa
zu beschreiben. Drei Sommertage am Zürcher See! Die Einladung klang verlockend, es gab nur einen Haken: Zürich war für mich längst kein fremdes Terrain mehr. Regelmäßig und gerne besuchte ich die Stadt zu Lesungen oder als DJ mit unserer Tanzveranstaltung »Russendisko«. Ich wusste also bereits: Auf Zürich ist Verlass. Die Veranstaltungen dort liefen immer gut, wobei es jedoch wenige Überraschungen gab. Während der Lesungen hörten die Zürcher aufmerksam zu, sie reagierten an den richtigen Stellen richtig, allerdings immer mit einer kleinen Verzögerung, die ich meiner Aussprache zuschrieb. Abschließend stellten sie angemessene Fragen. Hier wurde ich nie mit den typisch deutschen Zuhörerfragen belästigt, die nichts mit dem Inhalt meiner Bücher zu tun hatten: »Was verdienen Sie im Jahr?« oder »Wie geben Sie Ihr Geld aus?« In der Schweiz gilt eben noch das Bankgeheimnis. Die Zuhörer wollten hier meist nur eines wissen: ob alles wirklich wahr sei. Ich bestätigte das, sie nickten und gingen zufrieden nach Hause. Da ich immer nur die Wahrheit schreibe, hatte ich bisher keine Gelegenheit, herauszufinden, wie die Zürcher reagieren würden, wenn meine Geschichten erfunden wären.
Wenn wir mit der »Russendisko« nach Zürich kamen, mussten wir uns sogar noch weniger Sorgen machen: Die Gäste fingen meist zum richtigen Zeitpunkt zu tanzen an – zuerst mit einem Fuß, dann mit beiden Füßen, und jedes Mal, etwa gegen zwei Uhr nachts, wenn uns gerade das Gefühl beschlich, dass all diese einsamen Menschen das ganze Jahr nur auf uns gewartet hatten und jetzt unbedingt etwas passieren musste, was unsere Vorstellungen von einer gelungenen Party für immer sprengen würde, hörten sie plötzlich auf zu tanzen, bedankten sich höflich und gingen geschlossen nach Hause, so als würden sie alle zusammenwohnen.
Nach so einer Veranstaltung blieb ich immer noch einen Tag da und unternahm wie weiland Lenin, mein Namensvetter, einen Spaziergang an den Zürichsee, trank dort an der Uferpromenade das Milchserum Rivella, fütterte die Schwäne, bewunderte die Schweizer Jogger, die anders als in Deutschland ganz ohne Übergewicht, sozusagen freiwillig, um den See herumliefen, und erledigte meinen geheimen Auftrag: nämlich für meine Literaturagentin bei Sprüngli Luxemburgerli zu kaufen. Das tat ich bereits seit etlichen Jahren, und nichts veränderte sich am Zürichsee, nur die Schwäne wurden immer fetter und die Sprüngli immer teurer. Und jedes Mal genoss ich dieses alles bestimmende Gefühl der Richtigkeit, das einen wie mich in dieser Stadt unweigerlich überkommt.
»Diese Schweizer, die haben schon immer alles richtig gemacht. Im Zweifelsfalle gar nichts«, dachte ich jedes Mal. »Deswegen sind sie auch für ihre besonders genauen Uhren so berühmt, für einen Mechanismus, der als Symbol der Richtigkeit gilt. Die anderen Länder ringsum haben sich im Lauf der Geschichte immer mal wieder übernommen, zu große Pläne geschmiedet, zu heftig auf den Pudding gehauen und verheerende Niederlagen eingesteckt. Aber die Schweiz hat einfach nur richtig getickt.«
»Schwäne mit Sprüngli füttern verboten«, lästerte mein DJ-Kollege Jurij, der sich von den vielen Verbotsschildern am See inspirieren ließ. Einmal schrieb er sie sogar alle ab: »Hunde an die Leine!«, »Kinder an die Hand!«, »Kippen in die Abfallkörbe!«, »Betteln verboten!«, »Musik machen verboten!«
Mich fasziniert dagegen, dass diese Schilder anscheinend tatsächlich einen Einfluss auf das Volk haben. Sogar Kleinkinder verhalten sich meistens still, und die Hunde kacken nur auf Befehl in speziell dafür vorgesehene Tüten, so als könnten auch sie die Schilder lesen. Grundsätzlich ist ja fast alles in Zürich beschriftet. Auf vielen Bäumen kann man nachlesen, was es für einer ist, warum er gerade hier steht und wie lange schon. Sogar die Fische im See sind beschriftet, mit Schildern am Ufer, nur die Schwäne nicht. Ich weiß nicht, warum. Man sieht auch, dass einige Schilder fehlen. Wahrscheinlich haben Touristen sie als Souvenir abmontiert, weil es in Zürich so wenige Andenkenläden gibt.
Touristen werden hier quasi sich selbst überlassen und können frei durch die ganze Stadt streifen. Der aggressive Straßenverkauf, diese unausweichliche Begleiterscheinung aller europäischen Großstädte mit hoher Besucherfrequenz, fällt in Zürich mehr als harmlos aus. In Berlin sind inzwischen Hunderte in diese Branche eingestiegen. Außer
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