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Salve Papa

Salve Papa

Titel: Salve Papa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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Mutter. »Während der Fahrt durch die Kanäle machte er alles gleichzeitig: Er ruderte, sang falsch italienische Opernarien, machte die Fußgänger an, stritt sich mit Kollegen und fotografierte jeden, der ihn darum bat. Als wir ausstiegen, gab er mir die Hand. Just in diesem Moment klingelte es in seiner Hosentasche, er griff nach dem Telefon, ich fiel zurück ins Boot und habe mir eine Beinverletzung zugezogen.« Auch meine Mutter war venediggeschädigt.
    »Und die Preise?«, setzte mein Vater nach. »Zweihundert Gramm Taubenfutter kosten dort so viel wie bei uns ein Drei-Gänge-Menü für zwei Erwachsene in einem griechischen Restaurant! Diese Stadt hat dem Rest der Welt nur zweierlei zu zeigen: gewissenlose Habgier und arrogante Gleichgültigkeit! Nicht umsonst haben sie sich dieses seltsame Symbol zugelegt, ein Raubtier mit Flügeln, eine Mischung aus einem Löwen und einer Taube. Der Löwe greift hemmungslos nach der Beute, und die Taube scheißt auf alles und jeden.«
    »Der Löwe scheißt doch auch auf alles und jeden, er ist der König des Dschungels«, meinte mein Sohn. Wie unsichtbar schlich er sich an den Küchentisch und wartete auf den günstigsten Augenblick, um mit dem richtigen Spruch seine Anwesenheit preiszugeben.
    »Der Löwe scheißt überall und sogar viel mehr als Tauben, er ist auch größer«, entwickelte er seine Idee weiter.
    Betretenes Schweigen machte sich in der Küche breit. Venedig wurde augenblicklich zur Seite gelegt. Das Thema Erziehung beschäftigte die Runde. Besonders aufgeregt wirkte mein Vater.
    »Von wem hat das Kind solche Ausdrücke gelernt?«, fragte er pathetisch rhetorisch.
    Sebastian erntete einen Sturm der Entrüstung, er wurde heftig kritisiert wegen der Benutzung schlechter Wörter in der Öffentlichkeit und dann auf sein Zimmer geschickt. Danach schimpften alle weiter auf Venedig.
    Trotz dieser massiven Kritik flogen wir am übernächsten Tag mit Alitalia nach Venedig. Und, was soll ich sagen, es war genau so, wie uns die venediggeschädigten Verwandten vorhergesagt hatten. Übervoll, laut, teuer, anstrengend und schön. Als Erstes besuchten wir alle Orte, die uns familiär mit Venedig verbanden: den Fischmarkt, wo meine Tante von wild gewordenen Australiern vollgekotzt wurde, und die Brücke, von der meine Mutter beinahe ins Wasser gefallen wäre. Wir gingen zur Piazza San Marco, um Tauben zu füttern. Dort legen sich männliche Touristen auf die Erde, überschütten sich mit Maiskörnern und lassen sie von den Tauben aufpicken. Das wird dann von ihren Frauen geknipst. Das Geschäft mit den Tauben lief sehr gut, sie aßen viel und kackten vergleichsweise wenig. Mit dem Verkauf des Taubenfutters setzten die Venezianer vermutlich mehr ab als die Deutschen mit der Jahresproduktion von Mercedes.
    Am Ende des Tages kamen wir zu der Erkenntnis, dass die Tauben auf der San Marco Piazza nicht echt waren. Die Einheimischen, als große Meister des Karnevals und der Verwandlung auf der ganzen Welt bekannt, haben auch hier betrogen. Ich weiß nicht, wie sie es schaffen, aber eins steht fest: Ganz Venedig, diese Stätte der Schönheit, dieses Feuerwerk der Geschichte und so weiter, schmeißen im Groben ein paar Typen. Dafür arbeiten sie natürlich hart. Am Vormittag verdienen sie ihr Geld als Gondoliere oder Kioskverkäufer, am Nachmittag verwandeln sie sich in Tauben, picken die Maiskörner auf, schlucken sie aber nicht. Stattdessen bringen sie die Körner zurück zu den Verkaufsstellen, wo ihre Frauen sie neu verpackt an die nächsten Touristen verscherbeln. Die gleichen Venezianer machen noch den Verkäufer am Markt, zwischendurch ziehen sie sich noch zu Musikern um und sitzen in bunten Klamotten vor Kneipen und Restaurants. Sie spielen Italienisches von Nino Rota, der Musikzuschlag beläuft sich momentan auf vier Euro achtzig pro Gast.
    Selbst gegen drei Uhr früh, wenn die meisten Touristen längst schlafen und die Straßen sich leeren, gehen die Venezianer nicht ins Bett. Sie verwandeln sich in Fische und springen im Mondlicht unter den Brücken aus dem Wasser bis in den Morgen hinein, um die wenigen Touristen in Erstaunen zu versetzen, die nachts aufbleiben. Die Nachttouristen freuen sich, weifen ihr Geld ins Wasser, und die Venezianer sammeln es ein und bringen es auf die Bank. In Venedig hat jeder Fisch sein eigenes Konto.

Unsere Schweizreise
    Ende Juli lud mich der Tagesanzeiger nach Zürich ein und erteilte mir den Auftrag, die Stadt »aus der Sicht eines Fremden«

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