Salve Papa
einkaufen und haben ihren Konsum in mittlerweile unzähligen Memoiren und Tagebüchern verewigt. Besonders beliebt waren bei den Russen zwei Etagen: die Frauenunterwäsche- und die Lebensmittelabteilung. Auch der Pfeifenladen im Erdgeschoss wird oft in Memoiren erwähnt. Nicht einmal eine Zeile waren dagegen die Sportwarenabteilung oder die Buchhandlung im KaDeWe in den Erinnerungen wert, und ich sehe einen tieferen Sinn darin. So stellen sich damals wie heute die Russen das süße Leben im Kapitalismus vor: als ewiges Pendeln zwischen der Frauenunterwäsche und der Lebensmittelabteilung, mit einer Pfeife zwischendurch. Und sie haben gar nicht mal so Unrecht.
Traditionell ist meine Frau also besonders auf die Partys gespannt, die im KaDeWe stattfinden. Dort geht es nicht so volkstümlich zu wie im Roten Rathaus und nicht so exklusiv wie im Hotel Adlon. Im KaDeWe wird nur zu ganz besonderen Anlässen gefeiert. Wenn zum Beispiel ein neuer Jahrgang einer seltenen Champagnermarke auf den Markt kommt oder eine schweineteure Uhrenmarke ihr hundertfünfzigstes Jubiläum feiert, dann wird das Erdgeschoss in Schwarz dekoriert und bunte, mit Gold beschriftete Einladungskarten werden rausgeschickt.
Auch meine Frau und ich stehen in der Prominentenkartei. Auch wir könnten uns, wenn wir wollten, nur von Partys ernähren, die Kinder für immer zu meiner Oma in den Kaukasus schicken, die Katzen ins Tierheim nach Falkenberg, die Wohnung in eine Lagerhalle für Fracks und Abendkleider umwandeln und selber Abend für Abend von Party zur Party schlendern, Zigarren qualmen und Champagner schlürfen.
Aber wir gehen so gut wie nie aus. Das Problem bin ich. Ich langweile mich fürchterlich auf diesen Partys. Ich kenne die Fernsehseriendarsteller nicht, dauernd zu grinsen liegt mir auch nicht, und vom Champagner bekomme ich Bauchschmerzen. Lieber gehe ich mit ein paar Freunden angeln, als dass ich mich zum Empfang irgendeines Ministers durchringe. Meiner Frau bleibt nichts anderes übrig, als das zu akzeptieren. Und deswegen landen alle »wichtigen« sowie »unwichtigen« Einladungen nach dem Aussortieren im Müll. Nur bei der russischen Botschaft schauen wir einmal im Jahr vorbei, weil sie da tolle eingelegte Gurken servieren. Ich habe den Botschafter schon mehrmals auf das Geheimnis der Gurken angesprochen, er wollte es aber nicht preisgeben. Ich glaube, die Gurken werden in Moskau von höchster Stelle persönlich eingelegt. Und einmal im Jahr gehen wir auch ins KaDeWe. Denn ein bisschen Champagner muss auch sein. Den Rest des Jahres bleiben wir aber unter uns.
Manchmal, an einem dunklen Februarnachmittag, zieht meine Frau unvermittelt ein Abendkleid an, schmückt sich, schiebt eine CD mit Opernarien in das Abspielgerät in der Küche und flattert wie ein großer exotischer Vogel durch die Wohnung, begleitet von Katzen, Kindern und Meerschweinchen. Auf diese Weise holt sie sich den fehlenden Glamour.
P.S. Natürlich könnte meine Frau rein theoretisch auch allein oder mit einer Freundin zu diesen Feiern gehen, aber auf diesen Karten steht immer: »Wir laden herzlich ein, Herrn Kaminer mit Begleitung.« Und Begleitung ohne Herrn Kaminer würde gegen die Regeln des Partylebens verstoßen.
Einmal ging meine Frau trotzdem mit einer solchen Einladung allein zu einer Cocktailparty am Potsdamer Platz.
»Sind Sie Herr Kaminer?«, fragte sie ein freundlicher kahler Türsteher mit abgerissenem Ohrläppchen. Hätte sie »Ja« gesagt, wäre sie sicher problemlos reingekommen. Meine Frau sieht klein und süß aus, ist aber im Kern hart wie Stahl. Sie hat schon mal bei der Russendisko einen Dieb mit der bloßen Faust niedergestreckt und betrunkene Punks zusammen mit ihren Eltern rausgeworfen, weil sie sich über Frauen im Allgemeinem abschätzig geäußert hatten. Aber ein Abendkleid kann auch harte Menschen weich machen. Auf die Frage, ob sie Herr Kaminer sei, erwiderte meine Frau: »Nein, aber ich bin die Begleitung.«
Der Türsteher erklärte ihr, es gehe aber nicht, dass die Begleitung in Abwesenheit der begleitenden Person feiern geht. So weit, so doof. Seitdem sitzen wir beide zu Hause.
Der Tag des tschetschenischen Balletts
Im unterentwickelten Sozialismus meiner Jugend hatten wir bloß vier Fernsehprogramme. Zwei davon machten zwischen 12.00 und 18.00 Uhr eine Pause. Sie strahlten nur ein piepsendes Testbild aus, um die Menschen nicht von der Arbeit abzulenken. Das Wetter war zum Spazierengehen oft ungeeignet, daher hielten die
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