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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
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gehört, er trat ihr nur offizieller bei. Zehnmal in unserem Leben hatten wir uns fast ineinander verliebt, und jedesmal hatten wir uns nur um Haaresbreite verfehlt. 1950 hätte ich ihn vermutlich geheiratet, wenn er nicht mitten im Medizinstudium ins Sanatorium von Saint-Hilaire-du-Touvet hätte gehen müssen, wo er zwei Jahre lang blieb. Als er endlich zurückkam, war ich mit Jean-Christophe verheiratet. Als ich mich von Jean-Christophe scheiden ließ, hatte er gerade Luce geheiratet. Und als Luce ihn fünf Jahre später fast verlassen hätte, lebte ich mit Sydney in Amerika! Diesmal waren wir allein und frei und gesund zugleich, diese Gelegenheit mußten wir nutzen. Hätte ich François mit zwanzig geheiratet, so wäre Lozerech sicherlich aus meinem Leben, wenn nicht aus meinem Gedächtnis verschwunden. Jean-Christophe hatte einen guten Teil meiner Liebeskapazität brachliegen lassen, und somit waren meine jugendlichen Sehnsüchte intakt geblieben. So machen gewisse Männer eigenhändig das Bett für ihre Rivalen.
    Im übrigen war François ein seltener Vogel: einer jener großen Männer, die dann doch nicht groß sind, weil es sich das Leben im letzten Moment anders überlegt. Er hatte alle Trümpfe in der Hand, um ein berühmter Professor, ein angesehener Dichter, ein anerkannter Maler, ein fähiger Pianist, ein unwiderstehlicher Verführer zu werden, und virtuell war er das alles auch, aber winzige Brüche in seinem Charakter oder eine Reihe von Zufällen hatten ihn stets am echten Erfolg gehindert. Und anscheinend war er mit dieser Sachlage immer einverstanden gewesen.
    Er bot als Mann einen mehr als angenehmen Anblick, ohne daß man hätte sagen können, er sei schön, und sein Charme und seine angeborene Eleganz wurden durch genau die Dosis Nachlässigkeit und Schüchternheit gemildert, die notwendig waren, damit man ihm seine vielfältigen Begabungen verzieh, und die erklärten, daß man ihm in seiner Jugend den hübschen Spitznamen Jean der Träumer verliehen hatte. Eine Jugend, aus der er übrigens noch nicht herausgewachsen war, obwohl er die Fünfzig bereits überschritten und vieles durchgemacht hatte, denn seine Begeisterungsfähigkeit war ungebrochen: für die Säuglinge, denen er unermüdlich auf die Welt half, als ob jeder für sich allein schon die ganze Welt gewesen wäre, für die Freunde, für seine Tochter Marie, für das Reisen, die Musik, und zuletzt auch für unsere Heirat, weil sie ihm als zwangsläufig erschien und weil die Welt in seinen Augen trotz Krankheit und Tod grundsätzlich erlebenswert war. Er liebte das Leben, aber er liebte auch die Lebenden, was seltener vorkommt, und er liebte sogar mein Abenteuer mit Lozerech, den er »Kapitän Kormoran« nannte in Erinnerung an Corcoran und an die Bücher unserer Kindheit.
    In meinem Arbeitszimmer hatte ich die Seekarte an die Wand gepinnt, die mir Gauvain vor seiner Abreise gegeben hatte, und dieses kleine Schiff, das er mit der Sorgfalt und der Akribie gezeichnet hatte, die er für alle Dinge aufwendete, mit seinem Lademast und seinem Besanmast und seinem kleinen braunen Stützsegel, konnte ich nie betrachten, ohne daß es mir schwer ums Herz wurde. Mein Kormoran war verloren dort mit seiner acht Mann starken Mannschaft und den siebenhundert Reusen, die er jeden Tag mit neuem Köder versehen und zu Wasser lassen mußte, am Ende von vierzig bis achtzig Meter langen Leinen, auf einen Meeresgrund, wo es vor Kraken und Riesenmuränen nur so wimmelte, mitten in einem Ozean mit ewig hohem Seegang, weil die Wellen in diesen Zonen auf kein Hindernis treffen, das ihre Wucht brechen könnte. Zumindest stellte ich es mir so vor, nach den Seefahrtsgeschichten über diese makabre Gegend und nach dem Bordbuch, das er mir regelmäßig schickte, zu urteilen. Während Gauvains langer Abwesenheit hatte ich Marie-Josée nach ihrer Operation mehrfach besucht, mit dem heimlichen Wunsch, etwas von ihm zu hören. Aber der Anblick von Lozerechs Frau und der seines Hauses machten mir die Entfernung noch deutlicher, die uns auf See wie auf der Erde trennte. Ich konnte einfach nicht glauben, daß ich »die andere Frau« dieses Mannes war, der sich anschickte, sein Leben in diesem leblosen Rahmen zu beenden, seine Mahlzeiten in einer Küche einzunehmen, die »rustikal, massiv Eiche« eingerichtet war, wie Marie-Josée mit Stolz betonte, ohne zu bedenken, daß sie die wirklich rustikalen Möbel ihrer Eltern und Schwiegereltern zurückgewiesen hatte, weil es sich

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