Salz der Hoffnung
William mitkam. Für einen Jungen in seinem zarten Alter hatte Jorge ein lebhaftes Interesse an Londons finstersten Spelunken. Oder genauer gesagt, den weiblichen Gästen dieser Etablissements. Es war geradezu schockierend, wie Jorge sich bei diesen Frauen mit seinem strahlenden Lächeln einführte, und es dauerte nie lange, bis er das hübscheste all dieser Mädchen im Arm hielt.
An diesem ersten Abend verabschiedete William sich bald. »Ich kann hier nicht länger bleiben. Außerdem muß ich nach Hause. Und Sie ebenfalls. Mrs. Collins erwartet Sie doch sicher.«
»Nein. Ich wohne nicht bei ihnen. Colonel Collins hat nur darauf bestanden, daß ich meine Bücher und mein restliches Zeug bei ihnen unterstelle, solange ich an Land bin. In einer Absteige wie dieser könnten sie gestohlen werden.«
William war entsetzt. »Sie wohnen hier?« Die Schenke war schäbig, die Gesellschaft sehr rauh.
»Ja. Ich habe oben ein Zimmer. Colonel Collins sagte, ich könne in seinem Haus am Portman Place wohnen, wenn ich wollte, aber ich ziehe es vor, mein eigener Herr zu sein.« Er lachte. »Der Colonel weiß, daß Männer nicht zum Mönchsdasein geboren sind.«
»Ich kann mir kaum vorstellen, daß er dabei an so etwas gedacht hatte.« William nahm ihm die anzügliche Bemerkung übel.
»Sie glauben doch nicht im Ernst, daß er da unten die ganze Zeit allein war, oder? Er hat mit einem der weiblichen Sträflinge zusammengelebt.«
»Das ist eine Lüge!«
»Ist es nicht. Er hat zwei Kinder in Sydney von Mistress Yeates.«
»Das glaube ich nicht.«
Jorgensen schlug ihm kräftig auf die Schulter. »Zerbrechen Sie sich nicht den Kopf darüber, William, trinken Sie noch was. Die Kinder tragen seinen Namen, Collins verleugnet sie nicht. Also warum sollten Sie es tun?«
»Weil es niemals wahr sein kann. Woher wollen Sie das alles eigentlich wissen? Ich kann mir kaum vorstellen, daß der Colonel Ihnen davon erzählt hat.«
»Nein, aber an Bord eines Schiffes wird viel geredet. Hier gibt es jede Menge Matrosen, die schon in Sydney waren. Der Colonel ist beileibe kein Unbekannter. Er brauchte nur mit den Fingern zu schnipsen, und schon hatte er die Mannschaften für seine letzte Expedition nach Port Phillip zusammen.«
»Und warum sind Sie nicht mitgefahren?«
»Es war ein Sträflingstransport. Ich arbeite grundsätzlich nicht auf Sträflingsschiffen.«
William war immer noch erschüttert. »Weiß Mrs. Collins von der anderen Frau und den Kindern?«
»Natürlich nicht. Und machen Sie kein so pikiertes Gesicht. Uns steht darüber kein Urteil zu. Sie hat sich entschlossen, in London zu bleiben, also hat sie selbst die Voraussetzungen geschaffen.«
William hatte gehört, die Kolonie sei ein rauher, gesetzloser Ort, doch von einen Mann in so hoher Position wie Collins schien dergleichen einfach nicht vorstellbar. Er eilte aus dem finsteren Hafenviertel und atmete erleichtert auf, als er es hinter sich gelassen hatte, ohne von den finsteren Gestalten, die dort im Schatten lauerten, überfallen worden zu sein. Er verfluchte sich, daß er zugestimmt hatte, Jorgensen am nächsten Tag wieder zu treffen. Er hatte genug von diesem Dänen.
Einige Wochen später sandte Mrs. Collins William Sorell eine Einladung zum Dinner und setzte ihn davon in Kenntnis, daß auch Jorgensen eingeladen sei.
Seine Mutter hatte ihm erzählt, daß Mrs. Collins regelmäßig Abendgesellschaften für interessante, wohlsituierte Leute gab, aber offenbar spielten Rang und Stand bei diesen Kolonisten keine besondere Rolle, denn Jorgensen konnte kaum zur restlichen Gesellschaft passen. Ihn schauderte bei der Erinnerung an Jorge und den Pöbel, mit dem er Umgang pflegte, und an diese unglaubliche Geschichte über Colonel Collins. Das konnte einfach nicht wahr sein. Mrs. Collins, diese wundervolle Dame mit der Grazie eines Schwans, wäre sicher außer sich. Schockiert. Sollte Collins wirklich in aller Öffentlichkeit mit einer Strafgefangenen zusammenleben? Das war höchst unwahrscheinlich. Jorge hatte die ganze Geschichte vielleicht nur erfunden, um ihn zu ärgern oder seinen eigenen ausschweifenden Lebenswandel zu rechtfertigen. Und das in seinem Alter! Aber man hörte
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