Salz der Hoffnung
aufgelockert, die zu den schweren Vorhängen paßten. Das Ganze wirkte ausgesprochen freundlich, beruhigend und einladend.
»Dieses Haus ist wundervoll, nicht wahr?« flüsterte Regal Edwina zu.
»Natürlich ist es das. Maria hatte immer schon einen erlesenen Geschmack. Und nun achte auf deine Manieren, so lange du hier bist, mein Kind.«
Sie waren also endlich angekommen. Regal kam es beinah wie ein Wunder vor. Sie waren wahrhaftig in London!
Die ersten Tage fand sie ziemlich verwirrend, alles wirbelte nur so an ihr vorbei. Doch nach und nach gewöhnte sie sich an ihre neue Umgebung. Ihr Schlafzimmer mochte sie ganz besonders gern. Das breite Himmelbett hatte Vorhänge und einen Baldachin aus weißem Musselin, am Rand mit kleinen Rosenknospen bestickt. Sie hatte einen weißen, roségemusterten Teppich, eine Frisierkommode mit einem Spiegel darüber, einen zweiten, langen Spiegel am Kleiderschrank, einen Sessel am Kamin und sogar einen kleinen Sekretär. Und das Beste daran war, sie brauchte das Zimmer nicht mit Edwina zu teilen, wie sie befürchtet hatte. Es war ganz allein ihr Reich.
Aus Wochen wurden Monate, und bald kam es ihr so vor, als habe sie schon immer hierher nach London gehört.
Regal stand vor dem Spiegel und starrte fassungslos hinein. Sie konnte kaum begreifen, welche Verwandlung sich an ihr vollzogen hatte. In diesem Kleid sah sie aus wie eine Prinzessin. Es war phantastisch. Leuchtend türkisblauer Satin, reichlich bestickt mit schwarzen und silbernen Perlen und so tief ausgeschnitten, daß es schon fast unanständig war. Sie zog die Brauen hoch und versuchte, erhaben zu wirken, dann schnitt sie eine Grimasse. Es hatte den ganzen Tag gedauert, sich für diesen Anlaß fertigzumachen, und nach einer Weile hatte sie es lästig und ermüdend gefunden. Die Schneiderin hatte darauf bestanden, den Saum des Kleides noch etwas zu kürzen, und danach mußte auch der Umhang geändert werden. Die Zofe hatte Stunden gebraucht, ihre Haare zu waschen und zu bürsten und dann Strähne für Strähne aufzustecken. Sie hatte eine Tinktur darübergegeben, damit alles an Ort und Stelle blieb. Aber das Endergebnis war erstaunlich. Mit den hochgesteckten Haaren und Edwinas Türkisohrringen dazu wirkte sie tatsächlich elegant. Fein genug, um mit Maria und Edwina auszugehen und für eine Dame der Gesellschaft gehalten zu werden.
Sie wünschte, sie könnte jetzt, in diesem Augenblick, ein Portrait von sich malen lassen, um es nach Boston zu schicken. Würden sie nicht alle staunen? Das Hayes-Mädchen nicht nur in London, sondern auf dem Weg in die Oper, wo sie die Crème der Londoner Gesellschaft treffen würde. Ja, da würden ein paar Leute sicher grün vor Neid werden, ganz besonders die Nachbarn im fernen Boston. Dann fiel ihr Jessie ein. Jessie hätte es genossen, Regal so zu sehen. Sie war vielleicht zwölf gewesen, als sie Jessie mit der Frage überraschte: »Bin ich häßlich?«
Die arme Jessie mit ihrem zerfurchten Gesicht und ihrem knochigen Körper war dafür kaum die richtige Adresse, doch Regal hätte nie gewagt, eine solche Frage ihrer Großmutter zu stellen.
»Wie kommst du denn auf so etwas, Regal?«
»Weil ich zu groß bin. Die meisten Jungen sind kleiner als ich. Und mein Mund ist zu breit, und mein Haar hat gar keine richtige Farbe.«
»Aber du hast so schönes Haar. Hell und natürlich gelockt.«
»Wenn ich groß bin, werde ich Hüte mit geheimnisvollen Schleiern tragen, die mein Gesicht verhüllen, damit ich interessanter wirke.«
»Oh, jetzt verschwinde aber, Regal.«
Heute hätte sie ihr blondes Haar um nichts in der Welt verstecken mögen. Sie besaß viele Hüte mit Schleiern, aber kecke, kleine Schleier, die ihr gerade bis über die Augen reichten und so fein waren, daß man sie kaum anzurühren wagte.
Daheim wäre dieses Kleid ideal für einen Ball gewesen. Wenn man sie zu Bällen eingeladen hätte. Regals Gesicht verfinsterte sich, und sie spürte den altbekannten Zorn in sich aufsteigen, doch ein Blick in den Spiegel erinnerte sie daran, daß diese Tage vorbei waren. London war eine wundervolle Stadt, und sie wohnte sehr gern hier bei Maria Collins.
Das Haus am Portman Place war nicht prahlerisch, aber stilvoll. Und auch wenn
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