Salz der Hoffnung
wagen.«
»Aber Sie selbst haben doch den ganzen Atlantik überquert, um nach England zu gelangen«, wandte Williams Mutter ein. »Und Ihnen ist kein Leid geschehen.«
»Trotzdem versuche ich nach Kräften, diese Seereise zu vergessen.«
»Sagten Sie vier Monate?« unterbrach William ihr Gespräch. »Dauert es wirklich vier Monate, um nach Neusüdwales zu kommen? Das klingt nach einer alptraumhaften Schiffsreise.«
»Eine phantastische Schiffsreise«, widersprach eine Stimme mit einem starken Akzent, und ein junger Mann trat ein, ohne zuvor angeklopft zu haben.
William erhob sich, verstimmt über die Einmischung, aber Mrs. Collins strahlte. »Jorge, kommen Sie zu uns. Dies sind Mrs. Sorell und ihr Sohn, Lieutenant William Sorell. Mr. Jorgensen. Er ist Däne«, fügte sie hinzu, als erkläre das sein Hereinplatzen.
Jorgensen war erst neunzehn Jahre alt, doch er war groß, athletisch gebaut, und sein gutaussehendes Gesicht schon ein wenig wettergegerbt. Sein dichtes Haar war glatt und dunkel, er trug es im Nacken mit einer Schnur zum Zopf gebunden.
Mit einer ironischen kleinen Verbeugung in Williams Richtung schlug er die Hacken zusammen, dann wandte er sich den Damen zu.
»Sie sind Däne?« fragte Mrs. Sorell. »Ich dachte, alle Dänen seien blond.«
»Nicht alle.« Als er lächelte, funkelten seine blauen Augen, und seine kräftigen Zähne blitzten auf. Sein Lächeln verlieh ihm eine so umwerfende Ausstrahlung, daß William einen Stich der Eifersucht verspürte. Doch er verscheuchte das Gefühl und nahm Platz, während der Neuankömmling sich an den Kaminsims lehnte. Immerhin war er Offizier und dieser Kerl nichts weiter als ein gewöhnlicher Seemann in der schwarzen Kleidung der Matrosen der Handelsmarine, den niedrigsten Kreaturen auf See.
»Jorges Vater ist ein alter Freund von David«, erklärte Maria. »Als Jorge nach London kam, brachte er ein Empfehlungsschreiben seines Vaters mit und hatte zudem das Glück, David noch zu Hause anzutreffen.«
Natürlich, dachte William wütend und beobachtete den Dänen, während sie sich unterhielten. Er kommt einfach auf gut Glück her und trifft Collins, während meine Eltern so viel Zeit vertrödeln, daß ich ihn verpasse, und dabei lebe ich in London. Obwohl er schätzungsweise fünf Jahre älter war als Jorgensen, fühlte er sich unreif und unbeholfen angesichts der Selbstsicherheit dieses Fremden, der die beiden Damen unterhielt, ja beinahe mit ihnen flirtete, als wären sie zwei Debütantinnen. »Ich habe alle Shakespeare-Stücke gelesen«, sagte er gerade.
Oh, sicher hast du das, dachte William ungläubig.
»… aber noch nie eines auf der Bühne gesehen«, schloß Jorge.
»Dann werden wir ins Theater gehen, solange Sie in London sind«, versprach Maria.
»Wunderbar!« rief der Däne. »Das wird der Höhepunkt meines Besuchs in London sein.«
»Wie lange fahren Sie schon zur See?« erkundigte sich William.
»Tja … ich habe mit fünfzehn als Schiffsjunge angefangen und mit siebzehn heuerte ich unter Captain Marwood auf der Jane an, einem englischen Kohlenschiff. Wir segelten die Route zwischen den baltischen Häfen und Newcastle. Dies ist mein erster Besuch in London. Ich habe hier abgeheuert. Und noch nicht entschieden, was ich als nächstes tun werde.«
»Aber Sie haben nie eine Seefahrtschule besucht?« wollte William wissen.
Jorgensen grinste. »Seit meinem elften Lebensjahr hatte ich Unterricht in Mathematik, Navigation und Zeichnen. Auf See wurde ich dann mein eigener Lehrer. Und ich war sehr streng mit mir. Literatur, Sprachen, Geographie und die Elemente. Alles sehr wichtige Fächer, finden Sie nicht?«
»Das sind sie gewiß,« stimmte Maria Collins zu. »Und da Sie doch noch Urlaub haben, William, wären Sie vielleicht so freundlich, Jorge London zu zeigen? Wir wären Ihnen wirklich sehr dankbar.«
William konnte kaum ablehnen. Also fand er sich am nächsten Tag mit dem Dänen vor Londons Sehenswürdigkeiten wieder, dem Tower, den Houses of Parliament, Westminster Abbey, dem britischen Museum und so fort, mit Stippvisiten in sämtlichen Buchläden und Kirchen. Dann wollte Jorgensen unbedingt zum Hafen und bestand darauf, daß
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