Salz der Hoffnung
adoptieren.«
»Das kommt nicht in Frage.« Es klang so, als habe er diesen Vorschlag kommen sehen.
»Wieso nicht? Weil es für Basil unangenehm sein könnte? Vielleicht sollten wir das Baby einfach seinem Vater vor die Tür legen. Es hat doch sonst niemanden.«
»Du vergißt Mr. und Mrs. Hayes in Boston, die Großeltern des Kindes. Es wird ein schwerer Schlag für sie sein, von Pollys Tod zu erfahren, und da wir schon die traurige Pflicht haben, sie davon in Kenntnis zu setzen, sollten wir ihnen bei der Gelegenheit anheimstellen, sich des Babys anzunehmen. Wir wissen nicht, welche Korrespondenz zwischen Polly und Basil stattgefunden hat. Wenn du bereit bist, dich bis zum Eintreffen der Großeltern um Regal zu kümmern, dann sollten wir das tun. Doch inwieweit sie den Vater zur Verantwortung ziehen wollen, muß ihnen überlassen bleiben.«
»Ja, natürlich. Jasper und Ettie werden untröstlich sein. Vielleicht kann ein Enkelkind ihren Kummer ja lindern.« Maria faltete Pollys Kleidung zusammen und schenkte sie den Passagieren im Unterdeck. Den Rest ihrer Habseligkeiten packte sie in die Reisetruhe: Papiere, Schmuck, Bücher, Andenken, die Babyausstattung obenauf. Eine kümmerliche Hinterlassenschaft für ein Kind. Maria betete, daß Regal mehr Glück im Leben beschieden sein möge als ihrer Mutter.
3. Regal
London 1796
Maria Collins sah dem Besuch von Edwina Proctor und Regal Hayes mit Freude entgegen. Sie sehnte sich danach, nach all den Jahren wieder einmal amerikanische Stimmen zu hören. Besuch aus ihrer Heimat war selten. Sie fand es immer noch erstaunlich, wie gut sie sich in England eingelebt und daß sie London so sehr ins Herz geschlossen hatte, obwohl David so häufig fort war. Es würde herrlich sein, den Damen alles zu zeigen, ihr Reiseführer in dieser faszinierenden Stadt zu sein. Sie setzte sich an ihren Sekretär und begann eine Liste der Sehenswürdigkeiten zusammenzustellen, die sie besuchen mußten, eine zweite mit den Namen der Leute, die sie kennenlernen sollten. Doch ihre Gedanken schweiften immer wieder ab zu Polly. Sie fragte sich, wie ihre Tochter wohl sein mochte.
Seit jenen stürmischen Tagen, als Mr. und Mrs. Hayes nach London gekommen waren und ihre Enkelin einforderten, herrschte eine kühle Distanziertheit zwischen den beiden Familien. Maria war sicher, wäre David nicht bei aller Freundlichkeit so energisch aufgetreten, Ettie hätte ihr die Schuld an Pollys Unglück und ihrem Tod zugeschoben. So aber waren sie nur bis zur Abfahrt des nächsten Schiffes geblieben, und der Dank, den sie David und Maria für die Betreuung ihres Enkelkindes aussprachen, kam nicht von Herzen.
»Gott, was geht nur in meinem Kopf vor?« flüsterte Maria vor sich hin. »Ich rede doch Pollys Mutter nach dem Munde, wenn ich das Kind ›Pollys Unglück‹ nenne, und dabei war sie so ein hübsches kleines Würmchen.« Sie hoffte, ihre Großeltern waren gut zu ihr gewesen. Edwina hatte ihr geschrieben, Regal sei inzwischen eine junge Dame und das Abbild ihrer Mutter. Ihr absolutes Ebenbild! Und in einem anderen Brief schrieb sie, das Mädchen wisse so gut wie nichts von Polly. Den Hausangestellten zufolge habe man ihr lediglich erzählt, Polly sei im Kindbett gestorben. Vielleicht ist es auch besser so, dachte Maria. Ihr war keineswegs wohl bei der Vorstellung, welche Fragen Regal an sie haben mochte. Die Entscheidung, was Regal wissen sollte und was nicht, hatte bei ihren Großeltern gelegen, und sie hatten es offenbar für das beste gehalten, so wenig wie möglich an dieses Thema zu rühren. Edwina war entschlossen, es dabei zu belassen. Unter keinen Umständen wolle sie Pollys Benehmen mit deren Tochter erörtern, hatte sie Maria geschrieben, das wäre gar zu unangenehm.
Maria seufzte. Offenbar hatte ihre Schwägerin sich kein bißchen verändert. Gerade sie mußte von Benehmen sprechen! Maria erinnerte sich noch genau an die Nacht, als sie beobachtet hatte, wie ihr Bruder sich aus Edwinas Zimmer schlich, auch wenn sie nie einem Menschen davon erzählt hatte. Jedenfalls war es immerhin Edwina gewesen, die Polly den Verlobten ausgespannt und sie in die Arme eines anderen Mannes getrieben hatte. Nicht daß man sie für die Folgen verantwortlich machen konnte. Maria konnte darin keinen Sinn sehen, und David stimmte ihr glücklicherweise zu. Doch
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