Salz und Asche - Roman
unterwegs waren. Gnadenlos wurde ihnen der
Regen in die Gesichter getrieben. Das eisige Wasser lief ihnen in den Kragen und peitschte ihnen um die Beine, selbst der dichte Loden bot kaum noch Schutz.
Susanne mochte nicht daran denken, wie es Regine ging, wenn sie tatsächlich hier draußen war, ohne Mantel und vermutlich ohne Schuhe.
Keine Menschenseele war noch auf der Straße, als sie den Hafen erreichten. Die sonst so friedliche Ilmenau brodelte bedrohlich. Flussaufwärts musste bereits viel Regen gefallen sein, denn der Pegel war erheblich gestiegen.
»Zwischen die Mühlen oder gleich zur Bleiche?«, rief Till ihr zu.
»Wir trennen uns.«
»Kommt nicht infrage.«
»Aber das ist doch Unsinn.«
»Nicht heute, Suse.«
»Also zur Bleiche. Zwischen die Mühlen will sie seltener.«
Susanne hatte gedacht, es könne an einem Junitag nicht mehr dunkler werden als bisher, doch als sie an dem misstrauischen Wächter beim Roten Tor vorbei waren und die Felder vor der Stadt erreichten, war der Himmel beinah schwarz geworden. Der Donner war furchteinflößend laut, und die Blitze zeichneten sich deutlich ab, obwohl das Unwetter noch immer nicht direkt über ihnen war.
Inzwischen trug Susanne ihre Holzschuhe in der Hand. Sie liefen so geschwind durch den Schlamm der aufgelösten Wege wie in Kindertagen, wenn auch weniger leichtherzig. Bald hatten sie den Weg zu den halb überschwemmten Bleichwiesen zurückgelegt, nur um festzustellen, dass auch dieser Ort verlassen dalag. Susanne begann zu rufen, für den Fall, dass Regine im Buschwerk der Auwiesen Schutz
vor dem Wetter gesucht hatte. Kurz liefen sie nun doch auseinander, näher zu den möglichen Schlupfwinkeln, doch alles Rufen brachte Regine nicht zum Vorschein. Zügig bewegten sie sich in Richtung Sülztor, um von dort aus den Stadtgraben abzusuchen. Ein Donnerschlag, nah gefolgt vom Blitz, ließ sie beide zusammenschrecken. Der Sturm zerrte an Susannes Rock und war so laut, dass sie Till kaum noch verstehen konnte. Er winkte ihr. »Wir müssen uns unterstellen.«
Wieder rannten sie. Susanne wollte weiter zum Tor, doch nach kurzer Zeit schlug der Regen in Hagel um. Till ergriff ihren Arm und schlug stattdessen den Weg zur Reeperbahn ein. Die Buden der Seilschläger, die dort in einer Reihe standen, boten einen Schutz, der näher lag als die Stadttore. Ohne viel Federlesens öffnete Till mit seinem Messer anstelle des fehlenden Riegelhebers die Tür des ersten Schuppens und schlüpfte Susanne voran in den nach Hanfstroh duftenden, engen Raum.
Der Sturm heulte um die Bretterbude, und Hagelkörner prasselten mit ohrenbetäubendem Lärm auf das Dach. Es war nicht mehr möglich, sich mit Worten zu verständigen, deshalb bewahrte Susanne ihre Frage für später auf. Sie wusste, dass Till geschickt war, dennoch hätte sie schwören können, dass er nicht zum ersten Mal in eine Bude wie diese einbrach.
Seite an Seite beobachteten sie durch den Türspalt, wie die beeindruckend großen Hagelkörner auf den Boden auftrafen und dort mitten im Juni eine Eisschicht bildeten.
Als der Hagelschauer vorüberging, legte sich auch der Wind ein wenig. Es schien heller zu werden, und sie waren schon bereit, den Schuppen zu verlassen, da belehrte sie ein weiterer Donnerschlag eines Besseren. Als hätte das Unwetter
nur kurz Atem geschöpft, tobte es mit neuer Macht los. Hagelkörner, so groß wie Kinderfäuste, trieben sie zurück in ihren Unterschlupf. Ängstlich musterten sie in der Dunkelheit das Dach über sich.
Es kam Susanne vor, als würden Stunden vergehen, bevor der Sturm sich legte und sie sich tatsächlich auf den Rückweg machen konnten. Till verschloss die Tür der Bude ebenso geübt, wie er sie geöffnet hatte.
Mittlerweile war Susanne in Gedanken nur noch bei Regine. Wo war sie hingegangen? Hatte sie bei jemandem Schutz gesucht? An wen würde sie sich wenden?
Gerade kam sie zu dem Schluss, dass es sich lohnte, bei Lossius’ nachzufragen, da blieb Till neben ihr stehen. »Verfluchter Katzendreck. Ich hab’s geahnt.«
Susanne ersparte sich, ihn für seinen Fluch zu rügen. Beim Anblick des geschlossenen Sülztores pflichtete sie ihm innerlich bei.
So plötzlich, wie Till stehengeblieben war, rannte er nun los, schlug gegen das Tor und rief laut. Nichts regte sich, auch nicht, nachdem Susanne sich seinen Bemühungen angeschlossen hatte. »Oh nein. Was nun? Meinst du, das Rote Tor ist noch offen? Oder ein anderes?«
Till schüttelte den Kopf. »Am längsten bleibt
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