Salz und Asche - Roman
sagen, wie du dazu stehst?«
Susanne hätte nicht sprechen können, selbst wenn sie gewollt hätte. Sie hatte Lenhardt vor Augen, wie er bei seinem ersten Besuch mit ihr gescherzt und sie verblümt um ihr Vertrauen gebeten hatte. Jede Begegnung mit ihm ging ihr durch den Sinn. Nie hatte er sich anders als freundlich und gewinnend verhalten. Sie mochte ihn, sie vertraute ihm. Warum konnte aber dieses Gefühl nicht einmal für einen Moment Jans Bild aus ihrem Kopf vertreiben? Jan, wie er sie ansah, bevor sie sich küssten, wie er sie von sich stieß und dann doch wieder festhielt. Lenhardt wollte sie nicht auf dieselbe Art. Und sie verspürte nicht den Wunsch, ihn zu küssen. Dennoch würde es sie nicht abstoßen, wenn es dazu käme.
Es war in der Tat nicht der richtige Zeitpunkt für sie, Lenhardt ihr Einverständnis zu geben. Sie dachte an einen anderen, während sie ihm gegenüberstand. Und wenn sie ehrlich zu sich war, dann war ihr letzter Hoffnungsfunke noch immer nicht erloschen. Vielleicht ergab sich doch eine Möglichkeit, Jan wieder näher zu sein. Es musste sich nur erst die Aufregung um sie beide legen. Und wenn sie ihn auch nur in aller Sittsamkeit dann und wann sehen und sprechen konnte. War das nicht besser als ein Leben ganz ohne ihn?
Andererseits war die Hoffnung winzig gegen die Enttäuschung, die sie ihrer Familie zufügte, wenn sie Lenhardt ablehnte. Sie dachte an ihre Zukunft in einem Haus mit ihrem enttäuschten Vater und Bruder und Dorothea Marquart. Dachte daran, wie viel mehr sie für Regine und
Liebhild würde tun können, wenn sie als Lenhardts Frau im Haushalt der großherzigen Frau Lossius lebte.
Lenhardt beobachtete sie, als würde er versuchen, in ihr wie in einem Buch zu lesen. Er wartete geduldig, bis sie ihm wieder in die Augen sah. »Lenhardt, Ihr habt recht. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt. Ich habe in der letzten Nacht nicht geschlafen, und mir geht viel durch den Sinn, worüber ich nachdenken muss. Ich schäme mich zu zögern, aber ich möchte Euch meine Antwort bei klarem Verstand geben. Könnt Ihr ein wenig warten?«
Er lächelte gequält. »Und du kannst nicht wenigstens ›du‹ sagen, um mir ein kleines Zeichen dafür zu geben, dass du mich nicht grässlich findest?«
Susanne sah hinter ihm aus dem Fenster, wo die ersten Sonnenstrahlen die nasse Welt zum Glitzern brachten, als hätte es nie ein Unwetter gegeben. Wie groß war das kleine Zeichen, das er verlangte? Sie seufzte. »Hat der Hagelschlag bei euch am Hause einen Schaden angerichtet? So große Körner habe ich im Leben noch nicht gesehen. Und so lauten Donner habe ich noch nie gehört. War Regine bei dir, als es besonders schlimm gewesen ist?«
Seine Miene wurde wieder ernst. »Ja, das war sie. Auch das solltest du wissen, Susanne. Deine Schwester könnte immer bei uns sein. Solange ihr beide das wünscht.«
Es war gut, dass sie ihn bereits um den Aufschub gebeten hatte, denn nun hätte sie es vielleicht nicht mehr getan. Unwillkürlich hielt sie ihm ihre Hand hin. »Danke.«
Sanft nahm er ihre Geste an und strich mit dem Daumen über ihre Finger. »Ich danke dir. Für das ›du‹. Und: nein, bei uns hat der Hagel nichts angerichtet. Aber das Hochwasser hat in der Nacht Buden vom Heringssteg mitgerissen. Unser Pastor hat es erzählt. Wir sind ihm vorhin begegnet,
als er auf dem Weg in die Kirche war. Sobald Regine wach war, hielt es sie nicht mehr bei uns. Sie wollte zu dir. Willst du mir erzählen, was du erlebt hast?« Er deutete lächelnd auf die Bank.
Die letzte Anspannung fiel von Susanne ab, und sie bemerkte, wie gern sie von den Erlebnissen der vergangenen Nacht erzählen wollte. Selbst ihre Müdigkeit trat dahinter zurück.
Lenhardt setzte sich neben sie, hörte ihr zu und tröstete sie mit liebevollen Worten. Es war wohltuend, so mit ihm dazusitzen, weit angenehmer, als sich dem zu stellen, was vor der Tür auf sie wartete.
Ihr Vater unterbrach ihre Zweisamkeit schließlich, als seine Ungeduld siegte. Lenhardt kam seiner Frage zuvor, indem er sogleich von dem Aufschub berichtete. Zärtlich, doch züchtig strich er ihr über den Arm und erklärte, wie großzügig er es fände, dass sie seinem Ansuchen Gehör geschenkt hätte, obwohl sie so erschöpft sei und sich eigentlich erst von der schlimmen Aufregung der vergangenen Stunden erholen müsse. Er sei glücklich, dass er nun voller Hoffnung auf den Tag warten dürfe, an dem sie ihm ihre Antwort geben würde. Er sprach in so zuversichtlichem
Weitere Kostenlose Bücher