Salz und Asche - Roman
vor sich ging, doch der Hund nahm seine Kehle zwischen die Kiefer. Der stinkende Atem des Monsters ließ ihn beinah würgen. Noch biss die Dogge nicht zu, doch Jan schloss mit seinem Leben ab.
»Aus, Orfus! Aus!«, rief eine wütende Stimme, die nicht Kowatz gehörte, sondern einer Frau.
Der Hund zog den Kopf zurück, ohne seine bedrohliche Haltung wesentlich zu ändern. Immerhin gelang es Jan nun, sich dorthin zu wenden, wo er Till, Liebhild und Rieger vermutete. Er blinzelte einige Male, bevor er glaubte, was er sah. Neben der zweiten Dogge stand Susanne. Sie beugte sich über den am Boden liegenden Rieger und hatte dessen Gehstock in beiden Händen. Offensichtlich hatte sie damit bereits ein Mal zugeschlagen, denn Rieger hielt sich ängstlich die Hände über seinen Kopf.
Liebhild trug soeben Riegers Pistole zu ihrem liegenden Bruder.
Auf dem Pfad kam hingegen Kowatz herbeigehinkt und begutachtete eingehend die beiden Toten, bevor er zu Jan herantrat. Jan war so verblüfft, dass er sich noch immer unter dem Hund nicht rührte. Erst als ihm Sabber ins Gesicht tropfte, gab er angeekelt der Dogge einen Stoß und kam wieder auf die Füße.
»Steckt ein Tier mit Zähnen hinter dem Schmied. Hab ich gewusst«, brummte Kowatz.
Jan konnte sich keinen Reim auf die Sache machen, doch da Kowatz ihm nicht drohte, sah er sich nach den anderen Männern um.
Der Advokat hockte stöhnend auf allen vieren und erbrach sich. Der Kerl, der den Jungen vor sich gehalten hatte,
lebte nicht mehr, und der Junge war nirgends zu entdecken.
Der einzige überlebende Gegner außer Rieger war der Mann, der versucht hatte, mit dem Geld zu fliehen. Er war noch ein gutes Stück weitergekrochen, nachdem Jan sein Knie getroffen hatte, hatte dann jedoch aufgegeben und lag nun vor Schmerz gekrümmt da. Nach einem misstrauischen Blick auf Kowatz ging Jan zu dem Verletzten hinüber, nahm die Geldkatze an sich und brachte sie dem Advokaten. Dieser war dabei, sich den Mund mit seinem Schnupftuch zu wischen, aber offenbar noch nicht bereit, aufzustehen.
Sobald Jan das Geld abgelegt hatte, wurde ihm klar, was ihm als Nächstes bevorstand, und seine Knie begannen zu zittern. Er hielt sich mit einer Hand an einer Birke fest. Nun war auf einmal auch noch Kathis Mann auf dem Schlachtfeld erschienen, so überraschend wie die Sonne, die den Nebel und die Wolken doch noch besiegt hatte.
Unter Kowatz’ Aufsicht fesselte Jockel Rieger, der von einem Hustenkrampf geschüttelt wurde. Susanne hockte mit Liebhild bei Till und verband notdürftig dessen blutüberströmten Oberschenkel. Jan lehnte sich stärker gegen den Baum. Sie war gekleidet wie eine Schiffersfrau, einfach, warm und mit einem blauen Kopftuch aus Wolle. Aschblonde Haarsträhnen ringelten sich darunter hervor. Ihre Wangen glühten, während sie sich mit höchster Aufmerksamkeit ihrem Bruder widmete. Wunderschön war sie - noch schöner, als er sie in Erinnerung gehabt hatte. Sein Herz zog sich vor Schmerz und Sehnsucht zusammen. Wenn er wenigstens für immer so hätte dastehen und sie ansehen können.
»Mein Herr.« Der Advokat sprach ihn mit sterbensmatter
Stimme an. »Ich kann zwar nicht beurteilen, wie es geschehen ist, aber offenkundig ist der Herr Graf von Waldfels Euch zu Dank verpflichtet. Ich wäre es ebenso, wenn Ihr die Güte hättet, mir die Kalesche von der Kreuzung bei Hinzdorf herbeizurufen. Ich fürchte, ich kann nicht so weit laufen.«
Jan konnte seine Augen nicht von Susanne abwenden. Sie war fertig mit Tills Verband, stand auf und wischte sich die blutigen Hände an ihrem Umhang ab. Dann drehte sie sich suchend um sich selbst, entdeckte ihn und lief los. Mit leichten Schritten lief sie, so wie sie auch tanzte, so wie er sie oft im Traum sah. Erst nah vor ihm blieb sie stehen und fasste ihn an beiden Armen, sodass er schließlich glauben musste, dass sie wirklich war. Sie sagte nichts, sah ihm nur in die Augen, als stünde nichts zwischen ihnen, als wäre keine Zeit verstrichen. Genau wie damals raubte sie ihm seine Vernunft und machte ihn wehrlos.
»Susanne«, sagte er leise.
»Danke«, sagte sie. Gerade wollte er darüber verzweifeln, da legte sie ihre blutverschmierten Hände in seinen Nacken und zog ihn zu einem Kuss zu sich herunter, der heißer war als bloße Dankbarkeit. Sein nächster Atemzug war so tief und gut, als hätte er seit Monaten nicht richtig Luft geholt. Er legte seine Arme um sie und fühlte sich ganz.
Sooft er sich gesagt hatte, dass seine Erinnerung
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