Salz und Asche - Roman
dieses Gefühl übertrieb, dass es in Wahrheit nicht so gut war, sooft hatte er sich belogen. Susanne schmiegte sich an ihn und legte den Kopf an seine Brust. Er wollte sie nie wieder loslassen, doch sie war für ihn nicht erreichbarer geworden als vor einem Jahr. Im Gegenteil. Widerwillig zwang er sich, sie behutsam von sich zu schieben. »Was ist mit Till?«
Sie löste sich ganz von ihm und blickte zu ihren Geschwistern. »Er hat geblutet wie ein Schlachtochse. Es geht ihm nicht gut, aber Kowatz sagt, die große Ader ist nicht verletzt, sonst wäre er schon tot. Und die Kugel ist durchgegangen. Du hast ihm zwei Mal das Leben gerettet, meint er.«
»Dann wollen wir mal zusehen, dass es nicht vergeblich war, und ihn aus der Kälte schaffen.«
Erleichterung und Glück verliehen Susanne Flügel.
Während Liebhild bei Till auf dem Waldboden saß und Jan den Mann holte, den er angeschossen hatte, besprach sie mit Jockel und Kowatz die Lage.
Sie hatten bei ihrer Ankunft eine Wache auf Riegers Schiff überwältigt. Außerdem hatten sie ein kleineres Ruderboot vorgefunden, dessen zwielichter Wächter bei ihrem Anblick die Flucht ergriffen hatte. Es galt daher nun, drei Gefangene, den schwer verletzten Till, einen leicht verletzten Advokaten mit schwerem Geldsack, ein kleines Mädchen, einen wiederaufgefundenen Elfjährigen, drei Tote, ein kleines und zwei große Boote sowie zwei Pferde an sichere Orte zu bringen. Nach etlichen Überlegungen beschlossen sie, dass Kowatz den Advokaten und den Pagen, die Gefangenen und Toten mitsamt den Pferden und der Kalesche zu Herrn von Waldfels geleiten sollte.
Till wollte sich lieber auf dem Wasserwege nach Lüneburg als auf dem Landwege auch nur bis zum nächsten Dorf transportieren lassen. Außerdem bestand er darauf, dass Jan sie begleitete, um Jockel und den Schiffern auf den beiden großen Booten zu helfen.
Jockel unterstützte diesen Plan. Er meinte, man müsse andernfalls den zweiten Ewer zurücklassen, weil ein Kahn
nur von zwei Mann geführt werden könne und Kowatz dazu etwa so nützlich wäre wie eine Kuh zum Mäusefangen. »Und es wär ein Jammer um den schönen Pott. Wo er doch nu eigentlich herrenlos ist. Ihr könntet ihn verkaufen.«
Susanne umarmte ihn herzlich und gab ihm einen Kuss auf die Wange. »Wenn es nach mir geht, verkaufe ich ihn an dich. Um deinen Lohn für die Tage, die du für uns gearbeitet hast.«
Erschüttert fasste er sich mit der Hand an die Wange. »Oha. Da solltest du dir aber erstmal sagen lassen, was so ein Kahn wert ist, Lütte.«
Jan schlug ihm auf die Schulter. »Wenn sie es nicht weiß, ich weiß es. Und ich sage, sie hat recht. Der Ewer muss dir gehören. Du wirst das Beste daraus machen.«
Jockels Grinsen breitete sich langsam auf seinem Gesicht aus, dafür aber umso strahlender. »Wenn das Kathi hört.« Übermütig warf er seinen Hut in die Luft und fing ihn wieder auf. »Jaha, wenn das meine Kathi hört, dann wird gefeiert!«
Von da an sang, summte und pfiff er den ganzen Weg bis nach Lüneburg, beim raschen Segeln elbabwärts und beim langsamen Treideln die Ilmenau hinauf. Sie fuhren auf der Maria, weil Liebhild nicht auf Riegers Schiff gewollt hatte, doch Jockels Freunde führten sein neues Eigentum nah bei ihnen mit.
Till war im Laufe der Fahrt schwächer geworden. Er fror und schlief viel. Susanne hielt seinen Kopf im Schoß, während Liebhild neben ihm lag und sich an ihn schmiegte.
Susanne hatte sämtliche Decken über die beiden gelegt, und dennoch zitterten sie. Auch sie selbst fror, doch noch immer machte ihr Glück sie stark genug, alles auszuhalten.
Jan bemerkte ihre Erschöpfung allerdings. Er gab ihr seinen Mantel, und wann immer er Jockel nicht zur Hand gehen musste, setzte er sich hinter sie und schloss sie in die Arme. Eine wirksamere Wärme konnte es nicht geben, dachte sie, wenn sie ihren Kopf gegen seine Schulter zurücklehnte. Sein Mantel roch nach modrigem Laub, feuchter Erde, Blut, Pferd und einem Hauch von Tabakrauch. Ihr Liebster hatte sich verändert, war noch ruhiger und seiner selbst noch sicherer geworden, aber auch schweigsamer. Sie fühlte seine Zuneigung in jeder seiner Gesten und spürte gleichzeitig, dass er nicht über das sprechen wollte, was zwischen ihnen war. Er verhielt sich ihr gegenüber wie ein liebevoller Bruder, so wie Till es vielleicht getan hätte, wäre er gesund gewesen. Sie schloss die Augen. »Liebhild glaubt, du bist böse mit ihr«, sagte sie leise.
»Was? Warum denn?
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