Salz und Asche - Roman
war ihr vorher nie aufgefallen, weil sie es nicht anders kannte. Auch war es nicht allzu oft vorgekommen, dass mehrere große Lieferungen gleichzeitig ausstanden. Doch das sollte in Zukunft wohl häufiger vorkommen, falls sie die Worte ihres Vater richtig auslegte.
Der Trubel, der an diesem Tag durch das Verladen entstand, war ihr Glück, denn nur dadurch blieb unbemerkt, dass sie am Nachmittag eine Besucherin hatte. Es war Kathi, die an der Haustür klopfte, bis Susanne ihr selbst öffnete. Statt ihrer zwei Körbe trug sie heute zwei Eimer mit Deckeln an ihrem Joch. »Den Wäscherinnen mangelt es an Lauge. Habt Ihr Asche abzugeben, Jungfer?« Sie legte den Kopf beim Sprechen schief und lächelte nur mit einem Mundwinkel. Endlich kam Susanne darauf, woran Kathi sie erinnerte. Sie ähnelte einer Elster, nicht nur in ihren flinken Bewegungen und mit den funkelnden Augen, sondern auch in ihrer schwarz-weißen Ausstrahlung. Ein wenig unehrlich vielleicht, aber klug, aufmerksam und geschickt.
»Komm herein, ich habe Asche«, erwiderte sie. Rasch schob sie Kathi in die Schreibstube. »Unser Aschefass ist
leer, aber mein Vater hat einen Ofen hier drin, und ich habe ihn nach dem letzten Anfeuern nicht ausgefegt. Oder willst du gar keine Asche?«
»Doch, doch. Wo wir schon einmal dabei sind: Es mangelt den Frauen wirklich daran. Kann man hier reden, oder lauscht jemand oben am Ofenrohr?«
»Ganz sicher lauscht niemand. Was gibt es?«
»Der Galgen bei der Baumkuhle ist fertig und wartet auf euren Albert. Da dachte ich, ich frage euch mal, ob ihr aufgegeben habt. Sucht ihr noch nach einem anderen Mörder?«
Susanne zuckte mit den Schultern. »Mir verbieten sie die Suche. Und Till will sich in die Mordsache nicht weiter einmischen. Jan sucht vielleicht noch, aber er hat mir nichts erzählt.«
»Ich hätte bald den Hals voll davon, wenn man mir so viel verbieten wollte. Kannst du denn keinen Schritt allein tun?«
»Wenn ich wüsste, was ich allein tun kann, dann würde ich es vielleicht wagen. Aber ich kann nicht so leicht hier weg. Es fällt schnell auf, wenn ich fehle. Außerdem ist es immer ein Hasardspiel, wenn ich nicht auf Regine achtgebe.«
»Regine, Regine. Was hast du nur immer mit ihr? Hast du sie nicht neulich auch lebendig und gesund wiedergefunden?«
»Ach, was weißt du denn darüber? Du hast sie doch noch nicht einmal aus der Nähe gesehen. Es gibt unendlich viel, was ihr zustoßen kann, und wenn das passierte, würde man sie vielleicht in einen Narrenkäfig in der Mauer sperren. Keiner von uns könnte das ertragen.«
»Schon gut, schon gut. Na, wir wollen sehen, ob du
trotzdem etwas tun kannst. Wie seltsam, dass du gerade vom Hasardspiel gesprochen hast, denn das führt mich her. Es gibt eine Frau, die immer sehr arm war und nun plötzlich Geld hatte, um Schulden zu bezahlen. Sie sagt, ihr Mann hätte gespielt und gewonnen. Ich gönne ihr das Geld, sie ist ein liebes Ding, eine Frau wie eine Maus, und sie hat es schwer. Aber dass ihr Mann das Geld gewonnen hat, das glaube ich im Leben nicht. Und Kinder zu verkaufen hatten sie ebenfalls keine. Eine Totgeburt nach der anderen hatte Giselchen, und ich könnte dir auch sagen, warum. Aber nun wollen wir erstmal beim Geld bleiben. Ich sage dir, warum es nicht beim Spielen gewonnen ist. Wenn Berthold - das ist Gisels Mann - zur Schenkentür hereinkommt, dann packen die Kerle ihre Würfel und Karten ein und müssen rasch nach Hause zu ihren Frauen, auch wenn sie gar keine haben. Jeder weiß, dass Berthold sogar Spieler bei den Bütteln anschwärzt, wenn das Spiel nicht in seinem Sinne verläuft. Niemand würde um nennenswerte Einsätze mit ihm spielen, weil er so ein schlechter Verlierer ist. Wäre er ein bisschen klüger, hätte er nie das Hasard als Ausrede benutzt.«
»Also, woher kommt das Geld? Willst du mir sagen, dass es Wenzels sein könnte?«
»Möglich wäre es. Wenzel und Berthold kannten sich gut.«
»Aber was, meinst du, soll ich nun tun? Ich kann doch nicht zu Berthold spazieren und nachfragen.«
»Davon rate ich dir in der Tat ab. Er ist ein gemeiner Hund. Alle gescheiten Frauen machen einen Bogen um ihn. Aber seiner Gisel könntest du mal etwas Gutes tun, wenn er nicht zu Hause ist, und ihr so einen schönen Korb bringen, wie du ihn letztens herumgetragen hast. Totgeburten
hin oder her, sie ist wieder schwanger. Außerdem hat sie eine halbwüchsige Tochter und einen Sohn, der als Salzsieder angelernt wird und immer Hunger hat. Du musst nur
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