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Salzige Küsse

Salzige Küsse

Titel: Salzige Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tine Bergen
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viel Liebe darin, und dann langsam zum Briefkasten an der Ecke zu spazieren. Ich zählte die Schritte auf dem Hin- und Rückweg. Wenn es gleich viele waren, würde alles gut werden
.
    Der schwierigste Moment war, den Brief loszulassen. Als würde er niemals ankommen, nachdem ich ihn in das gähnende Maul des Briefkastensgeworfen hatte. Jedes Mal wenn ich all die lieben Worte im Bauch des Kastens verschwinden ließ, nahm ich erneut Abschied von Lukas. Es wurde niemals leichter
.
    Nach einem langen Monat des Wartens bekam ich endlich Lukas’ ersten Brief. Drei Seiten hatte er vollgeschrieben. Ich flüchtete damit nach oben, damit die anderen meine Tränen nicht sehen würden. Ich las den Brief jeden Morgen und jeden Abend. Bis einen Monat später wieder ein neuer Umschlag neben meinem Teller lag
.
    Ich lernte die Monate in Zeiten des Wartens, Immer - wieder - Lesens, Hoffens, Tagezählens, Schreibens … einzuteilen. Mir fiel auf, wie braungebrannt Juul inzwischen schon war und wie blass mir mein Gesicht im Spiegel entgegenstarrte, wie stumpf meine Augen waren. Aber ich konnte mich nicht dazu überwinden rauszugehen. Als wäre selbst die Wärme der Sonne auf meiner Haut schon zu viel
.
    Mein Herz wand sich nicht mehr. Es weinte, flimmerte, wehrte sich. Auf sämtliche Weisen ließ es mich spüren, dass es nicht zufrieden war. Ich konnte ihm nur recht geben. Es war nicht nur Lukas, den ich vermisste, sondern auch mich. Ich hatte mich verloren
.
    Ich versuchte mich in den wunderbaren Sätzen wiederzufinden, die Lukas mir schenkte. Ich flüsterte sie vor mich hin, wenn ich Teig knetete, mit Juul spielte, mein Haar wusch, im Bett lag … Ich hörte sie, wenn ich in der Messe saß, mich ankleidete, morgens in einem Haufen verschwitzter Laken aufwachte
.
    Es war Mama, die eines Tages versuchte mich in die Wirklichkeit zurückzuholen, als ich an jenem Sommermorgen nach unten kam und einen neuen Brief neben meinem Teller liegen sah
.
    »Anna.«
    »Ja?« Alles, was ich wollte, war, meinen Schatz mitzunehmen und mich in mein Zimmer zurückzuziehen
.
    »Tu mir einen Gefallen und lies den Brief draußen. Nimm Juul mit, setz dich notfalls in den Schatten. Aber schnupper ein wenig frische Luft, spüre, wie weich das Gras ist.« Sie schwieg und ich wartete, weil wir beide wussten, dass noch mehr kommen würde. »Tu dir das nicht an und tu es ihm nicht an, mein Kind.«
    Mama rieb heftig mit ihrem Ärmel über den Tisch. Juul saß in seinem Kinderstuhl und brüllte um Aufmerksamkeit. Ich starrte auf den Brief. Belle. Die Buchstaben schwankten flehend. Ich schaute zu Juul mit seinen großen blauen Augen und den Breiflecken auf den Wangen
.
    »Wir setzen uns unter die Weide.«
    Mama nickte froh, wischte Juuls Gesicht sauber und hob ihn aus dem Stuhl. Zusammen mit meinem Bruder ging ich nach draußen. Auf der Türschwelle hielt ich kurz inne. Die Sonne schien unglaublich grell. Ich spürte, wie mein Blut schneller strömte, bis es gegen meine Fingerspitzen klopfte, meine Zehen kitzelte, mein Herz erreichte. Ich atmete ein und roch den süßen, warmen Fliederduft
.
    Juul rannte jauchzend vor mir durch das Gras und ich musste einfach lachen, als er plötzlich auf dem Hintern landete, mitten zwischen den Blumen. Wir gingen bis zur Weide und pflückten zusammen einen großen Strauß Strandastern. Ich flocht eine Krone für Juul, mit der er wie ein kleiner König rummarschierte
.
    Schließlich setzte ich mich und lehnte mich gegen den Stamm der Weide, während Juul im Gras nach Steinen suchte
.
    Ich zögerte, bevor ich den Brief hervorzog. Das fröhliche Gefühl, das ganz kurz durch meinen Körper geflimmert war, verschwand genauso schnell wieder. Die Briefe von Lukas waren himmlisch, ich sehnte mich nach all den schönen Worten, die sie mir zuflüsterten. Aber gleichzeitig schnitten sie mir in die Haut, zogen meine Eingeweide vor Sehnsuchtzusammen und hinterließen einen bitteren Nachgeschmack in meinem Mund. Mit einer ungeduldigen Bewegung riss ich den Umschlag auf und warf noch einen Blick auf Juul, der sich ins Gras gesetzt hatte, um einen Turm aus Steinen zu bauen
.
    »
Meine allerliebste Belle. Dein Name lässt mich am Morgen aufwachen und zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht, trotz allen Elends hier …
«
    Mein Blut geriet in Wallung und ich fing an zu schwitzen. Ich löste mich vom Erdboden, löste mich von dem knorrigen Stamm, der gegen meinen Rücken drückte, von den Käfern im Gras, von Juul und seinem Turm …
    Was hätte ich

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