Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
zumindest vorsichtig zu sein. Er fragte sich, wie er von Görenczy diesen Gedanken nahebringen sollte. Sie steckten bis zum Hals in Ärger.
„Waren Sie auf der Jagd, als sie in das Loch fielen, Grossauer?“
Der Offizier antwortete nicht gleich.
„Ich bin Maler, Fairchild. Landschaftsmaler.“
Maler. Das war eine gute Tarnung. Man konnte sich mit seiner Staffelei irgendwo hinstellen und den ganzen Tag dort stehenbleiben. Allerdings setzte es zumindest eine Spur künstlerischer Begabung voraus. Vielleicht hatte von Görenczy ja verborgene Talente.
„Ah“, sagte er. „Mein Freund und ich waren unterwegs, um nach seinem Neffen und dessen Lehrer zu suchen. Sie sind in den Bergen verschollen.“
„Davon habe ich gehört“, erwiderte von Görenczy. „In dem Wirtshaus, indem ich wohne – wohnte –, hat man darüber gesprochen. Anscheinend eine gefährliche Gegend.“
„Scheint wohl so. Ich frage mich, wer diese Verrückten sind und weshalb sie einfache Wanderer und Maler einkerkern.“
„Das ist mir egal. Ich will nur weg. Herrgott, bin ich zerschlagen.“
Seine Aussprache war undeutlich vor Ermattung. Es war besser, nicht jetzt mit von Görenczy zu reden, solange er zu unkonzentriert war, um vorsichtig zu sein. Vorsicht war ohnehin nicht die Stärke des draufgängerischen jungen Mannes.
„Ruhen Sie sich aus. Es ist das Beste, was Sie tun können.“
Er hörte, wie der andere Mann sich zurechtlegte.
„Verflucht kalt“, murmelte der Offizier. Er war tagelang im Freien gewesen. Wahrscheinlich war er bis auf die Knochen durchgefroren. Die Nächte im Gebirge waren um diese Jahreszeit kalt. Delacroix zog seinen Mantel aus.
„Wo sind Sie? Strecken Sie die Hand aus!“
Er tastete durchs Dunkel und fand die Hand des anderen.
„Nehmen Sie meinen Mantel. Ich brauche ihn nicht.“
Wieder war es einen Moment lang still.
„Danke“, sagte Udolf dann; er hatte offenbar ein wenig gebraucht, um seinen Stolz zu überwinden.
„Bitte.“
Delacroix hörte, wie der Mann sich in den Mantel einrollte. Er wandte sich seinem Gefährten zu, der immer noch reglos neben ihm lag, tastete nach dessen Hand, fühlte seinen Puls. Der war gleichmäßig, stark und ließ keine Rückschlüsse auf das Befinden des Magiers zu. Dann drückte dieser plötzlich Delacroix‘ Hand. McMullen war wach.
Fast hätte er ihn angesprochen, doch er hielt sich zurück. Wenn der Meister eine Ohnmacht vortäuschte, hatte er vermutlich einen guten Grund dafür.
Delacroix atmete tief durch. Er konnte nichts tun. Seine Hilflosigkeit schabte an ihm wie Sandpapier. Er schluckte mühsam seinen Ärger hinunter. Wut blockierte das logische Denkvermögen. Er war eingesperrt, blind und hatte zwei angeschlagene Begleiter. Er tat gut daran, sich nicht von seinem übelgelaunten Tatendrang übermannen zu lassen. Klares Denken war gefragt.
Klares Denken in völliger Finsternis. Höchstwahrscheinlich hätte er auch schlafen sollen; es gab nichts, was er sonst tun konnte. Doch in ihm brodelte die Wut, und er war hellwach, obgleich er diese Nacht auch nicht geschlafen und zudem noch McMullen mindestens eine Meile weit geschleppt hatte. Sollte er je herausfinden, daß McMullen seine Ohnmacht dabei nur vorgetäuscht hatte, würde er ihm die eigenen Füße zum Frühstück vorsetzen. Doch McMullen würde ihm darüber wohl kaum Auskunft geben.
Er schrak zusammen, als ihn plötzlich etwas berührte. Wie eine leblose Hand oder die Ranke einer Pflanze wanderte etwas über seine Wange. Einen Augenblick lang verspürte er Furcht. Dann merkte er, daß es Wasser war. Wasser tropfte auf sein Gesicht.
Er streckte den Arm nach oben, konnte die Decke aber nicht erreichen. Weitere Tropfen fielen auf seine Hand. Ihr Gefängnis war nicht trocken. Er rappelte sich hoch und streckte sich erneut. Diesmal konnte er Stein spüren, scharfkantigen, unbehauenen Naturstein, leicht glitschig vor Nässe. Er tat einen Schritt nach vorn, gab Acht, nicht auf seine Freunde zu treten, die je zu einer Seite lagen.
Drei Schritte, dann hatte er eine Wand erreicht. Auch diese schien aus Fels zu sein. Er tastete sie ab. Höhlenfels. Nicht überraschend, das Echo seiner Schritte hatte ihm schon angedeutet, daß er sich nun in einem Berg befand.
Was konnte er aus seinem Wissen schließen? McMullens Neffe hatte von einer neuen Waffe berichtet, einer Geheimwaffe. Der Meister hatte den Mann, der mit ihm zusammen hier das Sagen hatte, als Professor angeredet. Ein Wissenschaftler? Ein Forscher?
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