Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Hatte man sich zur ungehinderten Entwicklung eines Geheimprojekts in die Berge zurückgezogen? Nur – was hatte ein irischer Bruder der Fraternitas Lucis bei so etwas zu suchen?
Er zweifelte nicht daran, daß der Meister des Arkanen, der sie aufgespürt hatte, zu dieser Geheimorganisation gehörte. Wenn er hier mitmachte, mußte das hier mit den Sí zu tun haben. Das war das einzige, an dem diese Eiferer ein Interesse hatten, außer vielleicht noch an Hexen und Hexenmeistern. Doch Hexen waren selbst in so gewalttätigen Kreisen wie der Bruderschaft aus der Mode gekommen.
Die Angelegenheit roch nach seinem alten Lehrmeister, Pater Emanuele. Nur war der tot. Er war im Refugium der Bruderschaft verbrannt, in jener Nacht, als die fanatischen Kleriker Corrisande entführt und mißhandelt hatten. Der Mann war tot, doch sein Schatten lag noch immer auf Delacroix‘ Seele.
Pater Emanuele war Asche, aber seine Ideen und Überzeugungen hatten ihn überlebt. Haß war einfacher in Menschen zu pflanzen als Liebe. Es waren schwarze Narben in Delacroix‘ eigenes Herz eingegraben, Finsternis, die er mit eisernem Willen in Schach hielt, Haß, der ihn leiten wollte, Wut, die ihn trieb, Zorn, der ihn zu einem gedankenlosen Killer machen konnte. Manches von dieser Zerstörungswut hatte ihm die Bruderschaft eingepflanzt. Sie verstand es, Menschen zu willenlosen, fanatischen Waffen zu machen.
Doch anderes war noch tiefer in ihm verwurzelt, hatte sich in ihn eingegraben, als ihn ein gelbäugiges Teufelswesen berührt hatte, das ihn als Opfergabe auserkoren hatte, um sich durch die Kinderseele zu manifestieren. Dieses Ereignis hatte ihn von Grund auf verändert.
Es hatte eines langen Lernprozesses bedurft, seine Gefühle immer unter eiserner Kontrolle zu halten und seine explosive Aggression mit strengem Willen zu zügeln. Er hatte sich zum ruhigen Denker und unerschütterlichen Taktiker erzogen. Doch er wußte, daß er sehr viel mehr war als nur der höfliche Brite, und jetzt fühlte er es wieder allzu deutlich.
Tief im Berg war er gefangen. Der unebene Grund unter seinen Füßen war Fels und reichte hinab in Gefilde, von denen er nichts Gutes erwartete. Monster und Dämonen harrten im Dunkel unter dem Tritt menschlicher Füße. Das war ihm seit damals klar. Er hatte erfahren, wie es sich anfühlte, von einem nichtmenschlichen Wesen erwählt, erobert und übernommen zu werden und sich nicht wehren zu können.
Er knirschte mit den Zähnen. Im Dunkeln war es schwer, sich am Rationalen festzuhalten. Er mußte sich auf etwas Positives konzentrieren, damit er aus dieser Gedankenhölle freikam. Corrisande – alles, was in seinem Leben gut war.
Er lehnte seine Wange ans kalte Gestein, konzentrierte sich auf das Gesicht seiner Frau. Ihre großen, meerblauen Augen erschienen in seinem Sinn, dann verschwanden sie zugunsten eines fremden Gesichtes, das einem jungen Mann gehörte, einem rothaarigen Halbwüchsigen in geckenhaft modischer Kleidung. Er sang ein Lied und lächelte, wobei man mehrere Reihen Zähne in seinem Mund erkennen konnte. Wie ein Alptraum verweilte die Vision in seinem Denken, änderte Details, wurde intensiver. Eine Stimme erklang in ihm: „Wir haben sie für dich herbeigerufen.“
Delacroix atmete wütend aus. Es war besser, sich niederzusetzen und auszuruhen. Sich Sorgen zu machen brachte ihn nicht weiter. Er war blind. Das würde aufhören. Er würde jetzt ruhen oder es zumindest versuchen.
Er tastete sich zurück zwischen die beiden anderen Männer, berührte sie, um festzustellen, wo sie sich befanden. Dann schloß er die Augen. Einen Unterschied machte das nicht in der vollständigen Schwärze, die ihn umgab, doch es beruhigte ihn, als sei das Licht eben nur einen Augenaufschlag entfernt.
In der Höhle war es kalt. Doch von Görenczy hatte den Mantel nötiger gebraucht als er selbst. Ermüdung und Entbehrung hatten ihn gezeichnet. Doch seine Verletzungen waren leicht. So jung wie er war, würde sein durchtrainierter Soldatenkörper sich schnell von Schwäche erholen, auch wenn er für heute genug getan hatte. Delacroix hörte seine regelmäßigen Atemzüge. Der Mann schlief bereits, zu müde, um wach zu bleiben – ungeachtet der Gefahr.
McMullen lag mucksmäuschenstill und reglos da. Delacroix wunderte sich, wußte jedoch zu wenig über die Feinheiten arkaner Wissenschaft, um erraten zu können, was genau der Meister mit seiner vorgetäuschten Ohnmacht bezweckte. Denn obgleich Delacroix‘ Erfahrungshorizont
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