Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
Vom Netzwerk:
und tobte. Sie hatte das Wappen des Dorfes Grundlsee gesehen, einen Wassermann. Seine Präsenz war fast fühlbar. Sie hoffte, daß das Wesen sie nicht wahrnahm.
    Dann schalt sie sich ob ihrer Feigheit und allzu überschäumenden Phantasie und blickte den Ruderer am Heck an, einen älteren Mann. Cérise hatte sich das Boot mit dem jungen Mann ausgesucht.
    „Das Wappen Ihres Dorfes, der Wassermann – bedeutet er etwas?“
    Der Mann schmunzelte. Es lag eine Spur Herablassung darin. Gleich würde er ihr einen ganzen Satz Lügen auftischen.
    „Madame“, sagte er und versuchte, langsam und deutlich zu reden, damit die fremde Touristin ihn auch verstand. „Dieser See gehört einem mächtigen Wasserwesen. Vor langer Zeit ging es einmal einem Fischer ins Netz, der es gefangennahm und behielt, so sagt man. Da zeigte der Wassermann dem Fischer eine Salzmine und machte ihn reich. Dann ging er ins Wasser zurück. Manchmal schenkt er uns einen besonderen Fang.“
    „Haben Sie ihn je gesehen?“ frage Corrisande.
    „Wenn der Mond scheint“, fuhr er fort und grinste dabei, „kommt er manchmal an die Oberfläche und bestraft Fischer, die ihn nicht achten. Er ist äußerst gefährlich, und ganz sicher hätte er eine hübsche Dame wie Sie gerne zur Braut.“
    Der Mann machte sich über sie lustig. Wenn er gewußt hätte, daß sie zu dem Wassermann gleichsam in einem entfernten verwandtschaftlichen Verhältnis stand, so hätte er sicher sehr rasch zu grinsen aufgehört. Doch sie befand sich in seinem Boot, und hier konnte er sie foppen, ohne fürchten zu müssen, daß sie aufstand und ging.
    Sie hatte ihn nach einer Legende gefragt, und genau das hatte sie auch bekommen – eine Legende. Sie zwang sich zu einem Lachen und dankte ihm.
    „Wie interessant“, bemerkte sie. „Auf der Karte gibt es in diesem Tal noch zwei weitere Seen. Können Sie mir etwas darüber sagen?“
    Der Mann wurde ernst.
    „Das sind keine guten Orte für charmante junge Damen wie Sie“, mahnte er allzu väterlich. „Sie sind wild, und es gibt unheimliche Lebewesen dort.“
    „Ja, und Menschen verschwinden, nicht wahr?“ fragte Corrisande und gab sich redlich Mühe, dabei besonders jung und arglos auszusehen. Sie hatte dafür ein Talent. Männer im Alter des Bootsführers reagierten im allgemeinen sehr gut darauf. Sie mochten es, stark und überlegen zu wirken, und arglose, hilflose Frauen gaben ihnen Gelegenheit dazu.
    Doch dieser Mann reagierte nicht wie erhofft. Sein Gesicht schien zuzuschnappen, und seine Miene wurde hart und unerbittlich. Nichts würde er sagen. Doch so leicht gab sie nicht auf.
    „Man hat uns berichtet, ein junger Engländer und sein Lehrer seien hier vor einem Monat verschwunden. Glauben Sie, sie sind ertrunken?“
    Der Mann zuckte die Achseln, und sein Blick ging weit in die Berge.
    „Wer weiß? Das Gebirge ist wild, die Seen sind tief, und oben am Kammersee gibt es nur noch Wildnis. Jäger gehen dorthin. Schöne junge Damen sollten das besser nicht tun. Wer hat Ihnen von dem Engländer berichtet?“
    Corrisande lächelte.
    „Jemand, mit dem ich im Gasthaus gesprochen habe.“
    Einen Augenblick lang schwieg er, dann musterte er seine anmutigen Passagierinnen und schien an einer Antwort zu kauen.
    „Gnä’ Frau, gehen Sie nicht dorthin. Beim Ladner sind Sie sicher. Da kann Ihnen nichts geschehen. Das sind gute Leute. Da sind Sie gut aufgehoben, und morgen kommen wir dann und rudern Sie zurück nach Grundlsee. Sie sollten in Aussee bleiben. Das ist mehr für Damen wie Sie. Viele Sommerfrischler kommen dahin. Aber hier ist es wild. Die Gegend ist was für Jäger und Waldarbeiter, für Förster und Fischer. Für Männer. Wir sind einfache Leute. Sehen Sie sich doch um. Hier sind die Berge wild. Fahren Sie morgen zurück.“
    Er wirkte, als habe er in seinem ganzen Leben noch nie so viel auf einmal gesprochen. Bedrückt sah er aus. Corrisande nickte und lächelte ihn an, um ihn zu beruhigen.
    „Danke“, sagte sie brav. „Ihre Besorgtheit gereicht Ihnen zur Ehre. Gibt es denn viele Männer, die hierher reisen, um zu jagen oder zu fischen?“
    „Ein paar“, antwortete er und fiel wieder in seine Einsilbigkeit zurück.
    „Haben Sie denn in der letzten Zeit auch noch andere Engländer über den See gerudert?“
    „Vielleicht“, brummte er. „Wer weiß? Ich fahre viele.“
    Offenbar würde er ihr nichts mehr erzählen. Sie würde es anders anstellen müssen – höchstwahrscheinlich mit einem neuen Gesprächspartner.

Weitere Kostenlose Bücher