Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
nicht ertrunken. Also kann sie meine Gefährtin sein.
Nein, entgegnete die Mutter. Sie gehört mir. Sie kann nicht dir gehören. Ich brauche sie. Deine Magie war stärker als ihre Widerstandskraft, und sie wird dafür leiden müssen, auch wenn sie keine Schuld trifft.
Verschone mich mit menschlichen Moralvorstellungen! sagte das Wasserwesen neben ihr und klang ein wenig beleidigt.
Corrisandes Verstand begann langsam wieder, etwas zu begreifen. Es war ein zeitaufwendiger, schmerzhafter Prozeß.
Ich spreche nicht von Moral, sagte die sachliche Stimme. Ich spreche von wahrer, selbstloser Liebe. Laß sie gehen. Hier geht es um viel mehr als deine Instinkte. Wir brauchen sie.
Ich liebe sie, beharrte er. Ich bin der Herr dieser Wasser – und ich war lange allein. Er küßte Corrisande auf die Stirn und zog sie zurück in seine Arme.
Wir aber sind die Herrinnen des Lebens, lautete die Antwort, und wenn du sie liebtest, hättest du ihr dies erspart. Laß sie los. Komm, Corrisande.
Der Name brachte ihre Erinnerungen auf einen Schlag zurück, und sie schrie und wehrte sich gegen die Hände, die sie noch hielten. Der wundervolle, bleiche Feyon ließ sie los und war im nächsten Augenblick verschwunden, schoß davon wie ein Fisch, ein silberner Fisch mit hungrigen Augen.
Oh Gott, jammerte Corrisande und sank auf den Grund. Das wollte ich nicht! Oh Gott.
Du darfst mich Mutter nennen, lautete die Antwort, und du hast keine Zeit, um dich im Selbstmitleid und in menschlichen Schuldgefühlen zu aalen. Bedeutende Dinge geschehen. Wider die Welt vergeht man sich. Menschen tun das – deine Art. Du hast eine Aufgabe, du und deine Freundinnen. Also vergiß das Vergnügen, das er dir bereitet hat.
Corrisande vergrub vor Scham ihr Gesicht in den Händen. Ich habe ihn betrogen, flüsterte sie, verraten und betrogen.
Ja, sagte die Mutter. Du warst zu schwach, um zu widerstehen. Wirst du stark genug sein, um zu tun, was zu tun ist? Oder wirst du hier im Wasser hocken bleiben und eine Träne nach der anderen weinen, bis nichts von dir übrig ist als Tränen, die durch Flüsse zum Ozean treiben und Teil des großen Kreises werden?
Ich bin gekommen, um Philip zu helfen, und nun habe ich ihn verraten! schrie sie der unsichtbaren Stimme entgegen.
Dein Philip ist nicht die einzige Kreatur, die in diesem Gebirgen in Gefahr ist, gab die sachliche Stimme zurück.
Corrisande sah auf, blickte sich im Wasser um nach der Herkunft der Stimme.
Du kennst Philip? fragte sie. Ist er in Gefahr? Wirst du ihm helfen?
Wenn du ihm hilfst, entgegnete die Mutter. Morgen wirst du mit deinen Freundinnen einen Spaziergang machen, vom Grundlsee zum Toplitzsee. Du wirst einen kleinen Schrein finden, einen Wegaltar für drei Heilige, Margarete, Katharina und Barbara. Drei Stunden vor Sonnenuntergang müßt ihr dort sein. Wir werden eure Tapferkeit und die Stärke eurer Liebe prüfen. Diese Prüfung müßt ihr bestehen.
Wer bist du? fragte Corrisande.
Wir haben viele Namen, und nun mußt du den Menschen retten, der im See versinkt. Wir haben ihn bisher beschützt und geben sein Leben nun in deine Hand. Du bist für sein Überleben verantwortlich.
Was ist mit Philip? Wird er mir verzeihen?
Wer weiß schon um die Gefühle von Männern? antwortete die mütterliche Stimme bekümmert. Wenn er dich genug liebt, vielleicht. Du mußt dich beeilen.
Die Präsenz war verschwunden, und Corrisande blickte sich um, erwartete ängstlich, daß der Wassermann wiederkommen würde. Doch sie war völlig allein – bis auf den Schemen eines Mannes, der über ihr nahe der Wasseroberfläche trieb und seine letzten schwachen Schwimmbewegungen machte, während sie noch zu ihm aufsah.
Mit zwei, drei kräftigen Beinbewegungen stieß sie zu ihm, hob seinen Körper an, trug ihn an die Oberfläche. Er hustete und rang nach Luft. Sie hielt ihn in ihren Armen und schwamm mit ihm zurück ans nachtschwarze Ufer. Er wehrte sich nicht, ließ sich vertrauensvoll durchs Wasser ziehen. Es war leicht.
Weitaus schwieriger würde es sein, zu erklären, warum sie all das tat und dabei absolut nichts anhatte.
Kapitel 48
Sie waren froh, daß sie zwei Laternen hatten. Hardenburg und sein verblichener Kamerad hatten je eine gehabt. Lange würden sie allerdings nicht vorhalten. Sie hatten die Kleidung der Männer durchsucht und einen Schatz an Streichhölzern gefunden, eine Taschenuhr und einen Briefentwurf, der mit „Mein hochverehrter Freund und Gönner“ begann – ein Name stand nicht
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