Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Stuhl.
„Keineswegs. Doch ich weiß nicht, wo er ist“, sagte sie. „Ich bin mir auch nicht sicher, ob er der richtige Ansprechpartner für Sie ist, wenn es um Dinge wie Geburt geht.“ Der Gedanke erschien ihr sonderbar. Sie stellte sich eine Visitenkarte vor: Graf Arpad, Raubtier und Geburtshelfer. Oder besser „Accoucheur“ – das klang modern und allemal eleganter. Sie verdrängte die abstruse Vorstellung aus ihren Gedanken. „Ich könnte mir vorstellen, daß seine Erfahrung auf diesem Gebiet nicht groß ist. Aber wer weiß?“ fügte sie etwas trocken hinzu. „Schließlich müssen Sí sich ja auch irgendwie reproduzieren. Wir haben das nie erörtert.“
Corrisandes Wangen brannten. Die Sängerin lächelte.
„Jedenfalls“, fuhr sie fort, „müssen wir ihn zuerst finden, und Delacroix auch, und natürlich McMullen.“
Corrisande nickte.
„Ich erzähle Ihnen besser alles, was ich weiß“, sagte sie. „Es ist nicht viel. Philip und McMullen sind mit wenig Hintergrundwissen nach Aussee gefahren, und ich weiß nicht, was wir tun könnten, außer ihnen nachreisen.“
Sie berichtete über die Briefe, die McMullen ihr und Philip gezeigt hatte.
„Sehen Sie“, fügte sie hinzu, „viel ist da nicht, was einem weiterhelfen könnte. McMullens Neffe war – oder ist – ein unvorsichtiger Junge. Man kann allzuleicht im Gebirge verlorengehen. Die Alpen sind hoch und wild. Es ist jedoch das Verschwinden des begleitenden Hauslehrers einige Tage später, das die Sache so verdächtig erscheinen läßt, und unsere Träume sind einander so ähnlich, daß ich nicht umhin kann zu glauben, daß sie eine Bedeutung haben. In meinem Traum war Philip auch in diesen glitzernden Höhlen unterwegs und drang immer tiefer in den Berg vor, und ich fühlte ganz deutlich, daß er in eine Falle lief.“
Cérise sah, wie sich Corrisandes Hände in die Armlehnen ihres Stuhles krallten. Ihre Knöchel waren weiß.
„Was nun?“ fragte die Sängerin schließlich.
Die Frauen schwiegen.
„Mlle. Denglot“, begann Corrisande nach einer Weile.
„Nennen Sie mich Cérise“, unterbrach die Primadonna, und Corrisande nickte, ohne auch nur darüber nachzudenken, daß es ungehörig war, auf so vertrautem Fuße mit der Exgeliebten ihres Gatten zu verkehren.
„Cérise, so wie ich das sehe, können wir entweder hier sitzen, warten und beten, daß sie von allein wieder auftauchen oder versuchen, sie zu finden. Wenn unsere Alpträume nichts weiter bedeuten und sie in Sicherheit sind, dann müssen wir uns auf nicht mehr gefaßt machen als ihren Unwillen und ihren Spott. Doch wenn unsere Sorge berechtigt ist, dann würden wir uns nie verzeihen, wenn wir nicht versucht hätten, ihnen zu helfen.“
Cérise nickte.
„Das heißt, wir müssen reisen, und gefährlich mag es auch werden“, gab sie mit einem besorgten Blick zu bedenken. „Geht es Ihnen gut genug dafür?“
„Ja“, antwortete Corrisande. „Ich werde tun, was getan werden muß. Ich will, daß mein Kind einen Vater hat.“
Einen Augenblick lang sagten sie beide nichts. Dann holte Corrisande tief Luft.
„Eines müssen Sie noch wissen“, sagte sie. „Philip hatte einen furchtbaren Angsttraum, ehe er abreiste. Er war sehr beunruhigt. Er bekommt manchmal solche Alpträume, seit er damals als Junge diese Begegnung hatte ...“
„Ich weiß“, erwiderte die Sängerin und merkte dann, daß sie damit zuviel gesagt hatte. Die Blicke der beiden Frauen trafen sich.
„Ich weiß, daß Sie das wissen“, sagte Corrisande verschämt. „Ich weiß, daß Sie einander nahestanden, und ich weiß, wieviel Sie ihm bedeutet haben. Ich versuche, nicht eifersüchtig zu sein.“
„Seien Sie es nicht. Es ist lang her.“ Immerhin eineinhalb Jahre. „Ich habe Arpad, Sie haben Delacroix, und so haben wir jede, was wir wollen. Versuchen wir, Freundinnen zu sein. Wir haben ein gemeinsames Ziel, und wir sind starke Frauen, die wissen, was sie wollen, und lieber losziehen und dafür sorgen, daß es geschieht, als zu Hause am Stickrahmen sitzen. Wir müssen zusammenarbeiten – auch wenn Sie im Augenblick ein wenig launisch sind und ich die meiste Zeit ein kleines bißchen skandalös bin.“
Sie hielt inne und sah Corrisande an, die ihr zulächelte. „Hat Delacroix gesagt, was er geträumt hat? Vielleicht wäre es gut, das zu wissen.“
„Nein“, flüsterte Corrisande. „Er ist schrecklich verschwiegen, was seine Träume angeht.“
„Er hält sie für eine Schwäche und haßt es,
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