Salzträume 1: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
Schwäche zu zeigen“, nickte Cérise.
Corrisande biß sich auf die Lippen. Es war erschreckend, wie gut die Frau ihren Ehemann kannte.
„Hat er Ihnen seine Träume erzählt?“ fragte sie und fürchtete sich zugleich vor der Antwort. Sie wollte nicht, daß Philip seine Ängste mit dieser Frau geteilt hatte und mit ihr nicht.
„Nein, kein einziges Mal“, antwortete Cérise. „Er sagte nur, daß sie die Zukunft vorhersagen, dabei aber so wirr sind, daß er die Botschaft nicht deuten kann.“
Corrisande nickte. Das war in etwa auch das, was er ihr gesagt hatte.
„Ja“, sagte sie. „Sie bieten sinnbildlich-verzerrte Einblicke in bevorstehende Ereignisse, deren Inhalt man erst begreift, wenn diese eingetroffen sind. Ich wünschte, er würde sie mir erzählen.“
Sie sah so unglücklich aus, daß die Sängerin ihr die Hände entgegenstreckte, die sie dankbar ergriff.
„Er wird es Ihnen irgendwann sagen“, beteuerte Cérise. „Gewiß.“
„Vorausgesetzt, wir finden ihn – sie.“
„Natürlich finden wir sie. Haben Sie schon dejeuniert? Ich auch nicht. Wir sollten uns Frühstück kommen lassen und planen, was zu tun ist.“
Corrisande lachte. Wahrscheinlich würde sie auf die Nähe, die ihr Mann und diese unglaublich schöne und talentierte Frau miteinander genossen hatten, immer ein wenig eifersüchtig bleiben. Dennoch konnte sie nicht umhin, sie auch zu mögen. Doch auch wenn sie sie nicht gemocht hätte, wäre das einerlei gewesen. Sie waren jetzt ein Team.
Kapitel 6
Charly fühlte sich unbehaglich in ihrem blaßgrünen Seidenkleid. Sie war eng geschnürt, viel zu eng, wie sie fand, doch Anna, die wenn nötig als ihre Zofe fungierte, hatte darauf bestanden. Anna hatte kein Blatt vor den Mund genommen, was die Tendenz ihrer Herrin anging, ihr Korsett zu locker zu tragen und in gänzlich unakzeptablen Landtrachten auszugehen oder in Sachen, die es ihr gestatteten, durch die steilen Berge, die sich hinter dem Schlößchen erhoben, zu reiten, zu wandern oder zu klettern. Wenn man meist wie ein Wildfang herumlief, mußte es einem freilich dann unbequem sein, sich anständig anzuziehen, sagte Anna und fügte hinzu, Herr von Waydt suche wahrscheinlich eine Gemahlin und keine Gefährtin fürs Bergsteigen.
Charly hatte wenig zu alldem angemerkt. Es war sinnlos, denn Anna hatte recht. Die Kunst, eine vollendete Dame zu sein, hatte sie nie gänzlich gemeistert, und das war nicht Sevyos Fehler gewesen, obgleich Anna das wortlos anzudeuten schien. Die treue Seele hatte ihr ganzes Leben für Charlys Familie gearbeitet und war somit auch darüber informiert, was sieben Jahre zuvor geschehen war. Sie erwähnte es nicht, niemand tat das, dennoch gab sie ihm die Schuld. Die widernatürliche Kreatur hatte ihre Herrin verdorben.
Doch es war keinesfalls Sevyos Fehler gewesen, daß Charly nie offiziell in die Gesellschaft eingeführt worden war. Als sie aus dem Mädchenpensionat heimgekommen war, hatte ihre Mutter geplant, sie in den richtigen Kreisen in Wien vorzustellen und dann rasch mit Leopold zu verheiraten. Doch ihre Mutter war gestorben, noch ehe Charly ihre Ballsaison hatte haben können, und nach dem Trauerjahr hatte ihr Vater versucht, sie wenigstens in Bad Ischl vorzustellen. In den Sommermonaten hielt sich dort ohnedies der halbe Hof auf. Also war sie zu einigen Plauderstündchen, Konzerten und informellen Festen gegangen und sogar Ihrer Majestät der Kaiserin persönlich vorgestellt worden. Elisabeth von Österreich, die den Beinamen Sisi trug, hatte ein Sommerhaus in Bad Ischl.
Die freiheitsliebende Kaiserin war nach Charlys Geschmack. Sie ritt gern und gut, stieg auf Berge und hatte, wie man sich erzählte, sogar Geräte mit Gewichten in ihren Räumen installieren lassen, um in Form zu bleiben. Der österreichische Adel betrachtete dies geradezu als Sakrileg, doch allzu offene Kritik an der Kaiserin gehörte sich nicht, und Charly war es möglich gewesen, ihre eigenen Vorlieben mit ähnlichen der Kaiserin zu entschuldigen. Die wenigen Wochen im nahen Bad Ischl waren jedoch alles an gesellschaftlicher Einführung gewesen, was Charly genossen hatte, denn ihr Vater erlitt alsbald einen Unfall, und die Zeit gesellschaftlichen Geplänkels war somit urplötzlich vorbei.
Vermißt hatte sie die adlige Gesellschaft nicht. Sie war zum Schlößchen zurückgekehrt, ohne verpaßten Gelegenheiten nachzuweinen. Während sie stundenlang reiten oder wandern konnte, ohne müde zu werden, hatte sie die dauernden
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